Das Unausgesprochene, das Ungesagte. Es gibt Familien, die von den Dingen bestimmt werden, über die keiner spricht. Weil der Blick zurück zu schmerzhaft wäre, falsche Lebensentscheidungen zutage treten würden oder weil einfach verdrängt werden soll, was einst geschah. Solche Sprachlosigkeit zwischen Generationen findet sich oft im Umgang mit dem Zweiten Weltkrieg und den Nachkriegsjahren. Im Filmdrama Tamara ist das anders. Denn Tamara wurde kurz nach dem Mauerfall in der DDR geboren, ein Land, das nicht mehr existiert, welches aber unverrückbar zur Biografie der Familie gehört. Wie viele zog sie damals fort. Zum runden Geburtstag ist sie nun zurück und hadert damit, dass ihre Eltern das Haus, in dem sie aufwuchs, kampflos aufgeben wollen, weil Grundstücksbesitzer nun ihre Ansprüche geltend machen. Doch ihre Mutter entgegnet ihr nur, dass sie keine Kraft mehr zum Kämpfen habe. In den Tagen, die folgen, brechen Erinnerungsfetzen wieder hervor. Tamaras Halbbruder ist in den Jahren zu Wohlstand gekommen, weil er das Gelände eines von Nazis abgefackelten Jugendclubs als Bauland nutzte. „Heil Hitler“ begrüßt sie ihn scherzhaft und man fragt sich, ob er nicht damals auch zu den gewaltbereiten Glatzen gehörte. Die Vergangenheit lugt hier aus jeder Ecke, mal wehmütig, mal als bleierner Schatten. Sie versteckt sich in den üppigen Bücherregalen und der alten Einrichtung oder dem vollgestopften Tüftler-Keller, in dem der Vater, der kurz nach der Feier bei einem Verkehrsunfall verunglückt, Tagebuch auf Tonbändern führte. Die Alten im Dorf vegetieren nur noch vor sich hin, wie der resignierte Großvater, der einst mit dem Umbruch durch die Wiedervereinigung nicht klarkam.
Jonas Walter erzählt das (in seinem Abschlussfilm an der Filmhochschule Potsdam) mit sensibler Beobachtungsgabe, belässt es oft bei schemenhaften Andeutungen und nicht tiefer ausgeführten Handlungsmotiven. Das irritiert zunächst beim Sehen, denn als Zuschauer sucht man sofort nach Erklärungen, wo es aber nicht immer welche gibt. Auch Tamara erhält nicht alle Antworten und das Drehbuch verweigert sie dem Publikum teilweise über das Ende hinaus. Das passt auch deshalb so gut, weil es Walter selbst so erging. Denn er verarbeitet in seinem Regiedebüt die eigene Familiengeschichte, auch wenn er sein „Alter Ego“ ganz bewusst mit einer Schauspielerin besetzt hat. Lina Wendel spielt die Rolle der Tochter mit einer beeindruckenden Mischung aus Energie, Wut und Verzweiflung. Ihre Tamara rennt zwangsläufig gegen unsichtbare Wände. Die Zwiegespräche mit der Mutter laufen zu oft in die Leere. Aber der eigenen Vergangenheit kann Tamara ebenso wenig entsagen. Denn in der DDR liegen ihre Wurzeln. Doch genauso klar ist, dass sie längst Bewohnerin eines neuen Landes ist, die nicht mehr wissen kann, wie es sich damals angefühlt hat, im Osten zu leben – auch wenn so vieles noch an diese Zeit erinnert. Die daraus resultierenden Leerstellen und Brüche kann ihr aber niemand füllen.