The Pianist – Wojciech Kilar

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Roman Polanski (Chinatown, Tanz der Vampire) war bereits aus Cannes abgereist, als ihm gänzlich überraschend die Mitteilung erreichte, dass sein neuer Film Der Pianist mit der Goldenen Palme ausgezeichnet werden sollte. Seine Verfilmung der Autobiografie des polnischen Musikers und Komponisten Wladyslaw Szpilman (1911-2000) war beim Festival auf geteilte Reaktionen gestoßen. Polanski glaubte, leer auszugehen und reiste kurzerhand ab, bis er dann per Telefon zurückgeholt wurde. Allen kritischen Stimmen zum Trotz und mit dem Rückenwind der Auszeichnung hat Der Pianist inzwischen die europäische Presse im Sturm erobert. Nicht selten wurde sogar von einem neuen Meisterwerk gesprochen.

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Derartige Superlative sind sicher etwas übertrieben. Polanskis Film vermag nach unzähligen Filmen und Büchern dem Thema Holocaust nur wenig inhaltlich Neues abzugewinnen. Was seinen Film dennoch auszeichnet, ist die überzeugende Schilderung des Lebens im Warschauer Ghetto. Entscheidend zur Glaubwürdigkeit der Darstellung trägt sicher bei, dass Polanski selber Überlebender des Krakauer Ghettos ist (die eigenen Eltern wurden von den Nazis verschleppt; die Mutter starb in Auschwitz) und deshalb für den Dreh auch auf eigene Erfahrungen zurückgreifen konnte.

Mit inszenatorischer Zurückhaltung erzählt er die Geschichte des gefeierten polnischen Pianisten Szpilman (nach dessen im März 1998 erschienenen Buch „Das wunderbare Überleben“), der 1911 geboren, Klavier an der Warschauer Hochschule für Musik studierte und später an der Akademie der Künste in Berlin unter Arthur Schnabel, Leonid Kreutzer sowie Franz Schreker ausgebildet wurde. Polanskis Film setzt 1939, während der Belagerung Warschaus ein. Als einziger seiner Familie gelingt dem polnisch-jüdischen Klavierspieler durch glückliche Umstände die Flucht aus dem Ghetto. In verschiedenen Verstecken und unterstützt durch alte Freunde schafft er es, irgendwie durchzukommen.

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Kurz vor Ende des Krieges wird der halb verhungerte Szpilman in einer Ruine von einem deutschen Wehrmachtsoffizier aufgegriffen. Als er ihm mitteilt, dass er Pianist sei, soll er vorspielen – Chopins „Ballade No.1 in G-Moll“. Das Stück rettet ihm das Leben. Der Deutsche versorgt ihn fortan mit Nahrungsmitteln und hilft ihm dabei, die letzten Kriegstage zu überstehen. Bittere Ironie: Der Offizier stirbt später in einem russischen Gefangenenlager, während Szpilman nach 1945 als Konzertpianist und Komponist (übrigens auch Filmmusik) Erfolge feiert.

Das alles erzählt Polanski nüchtern, ohne Kitsch und Melodramatik. Er verzichtet gänzlich auf Effekthascherei oder eine Dramatisierung der Geschichte. Dadurch baut Der Pianist zwar eine emotionale Distanz zum Zuschauer auf, wirkt deshalb aber umso glaubwürdiger und wahrhaftiger. Die Fülle kleiner Details, die Polanski schildert, verleiht der Handlung darüber hinaus Rückgrat. Literaturpapst Marcel Reich-Ranicki – selbst Überlebender des Warschauer Ghettos – lobte die Authentizität des Filmes. Ein größeres Kompliment ließe sich für Polanskis Pianist wohl kaum machen.

Auch wenn das dokumentarische Drama kein wirklich innovatives Kino bietet, ruft es doch mit lebendigen Bildern ein dunkles Kapitel der deutsch-polnischen Geschichte wieder in Erinnerung und ist damit ein weiterer wichtiger Beitrag wider das Vergessen.

Zur Musik:

Wojciech Kilar (geb. 1932) hat sich hierzulande hauptsächlich durch die Filmmusiken zu Bram Stoker’s Dracula (1992) und Portrait of a Lady (1996) einen Namen gemacht. In seiner Heimat ist er allerdings auch als Komponist für den Konzertsaal anerkannt. Mit seinem Landsmann Roman Polanski ist Der Pianist bereits die dritte Zusammenarbeit nach Der Tod und das Mädchen (1994) und Die neun Pforten (1999).

Ganz gemäß der zurückhaltenden Regie Polanskis nimmt auch Kilars Originalmusik nur einen kleinen Raum im knapp zweieinhalbstündigen Film ein. Neben den wichtigen Chopin-Stücken wird sie nur spärlich eingesetzt und bleibt dann meist düster-unheilschwanger im Hintergrund. Eine großangelegte Vertonung wie die von John Williams in Schindlers Liste (1993) gibt es also nicht.

Insofern verwundert es kaum, dass die Filmmusik-CD von Sony Classical mit dem knapp zweiminütigen „Moving to the Ghetto“ nur einen kleinen Schnipsel aus dem Score bietet. Dieses Stück mit seinem bolero-haften Thema erinnert an Kilars Konzertwerk Exodus und ist einer der wenigen leichteren Momente in Kilars Partitur. Auch wenn es schön gewesen wäre, mehr von der Originalmusik zu hören, sind Zweifel angebracht, ob diese abseits des Filmes allein stehen könnte.

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Den Löwenanteil der CD nehmen die Stücke von Frédéric Chopin ein, darunter die oben bereits erwähnte „Ballade No.1 in G Minor“ sowie die „Nocturne in cis-Moll“. Janusz Olejniczak brilliert hier am Klavier. In exzellenter Klangqualität bietet das Album einen schönen Querschnitt durch Werke des Komponisten, wobei diese allerdings zum Teil überhaupt nicht im Film zu hören sind (Die CD ist auch als „Music from and inspired by“ betitelt).

Leider lässt das Booklet weiterführende Hintergrundinformationen zu Film & Musik vermissen. Gerade bei einem so spannenden Thema ist dies eine verschenkte Chance. Die stimmungsvollen Aufnahmen dürften aber dennoch für viele Kinobesucher ein schönes, gut fließendes Filmsouvenir darstellen.