The Pale blue Eye – Howard Shore: „Vertraut düster“

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Bleierne Schwermut. Fahle Klänge, lang ausgehaltene Töne, hier und da eruptive Ausbrüche der Hörner. Howard Shores intensive Filmmusik zum Netflix-Thriller Der denkwürdige Fall des Mr PoeThe Pale Blue Eye von Scott Cooper folgt einem Erfolgsrezept, auf das der Komponist in seiner langen Karriere bereits viele Male zurückgegriffen hat. Ob zu den bizarren dystopischen Filmwelten David Cronenbergs in Videodrome oder existence, bei Meilensteinen des Psychothrillers wie Das Schweigen der Lämmer oder Sie7en oder natürlich der Reise der Gefährten nach Mordor in Peter Jacksons Herr der Ringe-Filmen. Alle diese Vorbilder sind in The Pale Blue Eye deutlich erkennbar und waren vermutlich schon beim Drehen Blaupause für die Tonspur. Insofern bietet das neueste Werk des Komponisten wenig Raum für Überraschungen, zumindest wenn man ein paar der Vorbilder noch gut im Ohr hat.

Und doch passt die Musik hier wie die Faust aufs Auge. The Pale Blue Eye ist als beklemmender Whodunnit-Thriller bestens geeignet für eine düstere Vertonung von Howard Shore im Sie7en-Modus. Im Mittelpunkt der Handlung steht die berühmte US-Militärakademie West Point in Jahr 1830. Hierhin wird der New Yorker Polizist Augustus Landor (Christian Bale) mitten im tristen Winter gerufen, um eine mysteriöse Mordserie unter den Rekruten aufzuklären. Bei seinen Ermittlungen trifft er auf den jungen Edgar Allan Poe (brillant: Harry Melling), in dem er zunächst einen Seelenverwandten entdeckt, der alsbald aber selbst verdächtig wird, möglicherweise etwas mit dem Fall zu tun zu haben. Und dann ist da noch ein zwielichtiger Soldat, der nachts mit seiner Familie okkulte Séancen abhält. The Pale Blue Eye zeigt eine von der Gesellschaft abgeschottete Welt, in der es wenig Raum für Lichtblicke gibt angesichts der tristen Baracken der Kaserne, der Eiseskälte, dem strengen Drill der Offiziere und den fürchterlichen Morden, die alle zunehmend in Angst und Schrecken versetzen.

Shore stattet das karge Setting mit einer orchestralen Musik aus, die in ihrer fatalistischen Atmosphäre auf den ersten Blick statisch wirkt. Doch das täuscht, denn es brodelt unter der Oberfläche. Geschickt illustriert er einzelne Szenen, integriert militärische Trommeln als auch konzertante Soli. Landors Detektiv-Arbeit begleitet er mit pointierten rhythmischen Akzenten und wenn die Handlung eskaliert, bringen Blech und Schlagwerk das Orchester zu düsteren Eruptionen. Einfach zugängliche Musik ist das sicher nicht. Aller Mollfärbung zum Trotz glänzt die Musik aber durch ihre starke motivische Durchdringung, die über das reine Setzen einer nihilistischen Grundstimmung weit hinausgeht. Und wenn durch den Nebel der fahlen Klangfarben kurze lyrische Oasen durchscheinen, dann haftet ihnen mitunter sogar etwas Sakrales an, als suchte die Musik noch in der ausweglosesten Situation nach Spuren von Empathie und Menschlichkeit. So düster der Film ist, so fatal er auch wirkt: Hoffnung und erlösende Katharsis bleiben in Shores psychologisierender Komposition stets eine Option. Als Zuschauer kann man sich nie sicher sein, in welche Richtung das Pendel am Ende ausschlagen wird. Aus dieser Ungewissheit erwächst ein subtiles Spannungsfeld, dem der Film bis zum unerwarteten Ende seine besondere Faszinationskraft verdankt. Natürlich ist das filmmusikalische Konzept dabei alles andere als neu und das kann man durchaus kritisieren, zumal manche Motive schon sehr nach Mittelerde oder der Musik zum Thriller The Score klingen. Doch Howard Shore ist hier einmal mehr völlig in seinem Element. Was er in The Pale Blue Eyre macht, mag darum am Ende nicht sonderlich originell sein, ergibt aber im Kontext des Filmes Sinn und beeindruckt in seiner kompositorischen Integrität.

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