Taking Sides – Der Fall Furtwängler

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Wie verhält man sich als Künstler innerhalb eines totalitären Regimes? Verlässt man das Land und geht ins Exil? Bleibt man, leistet passiven, vielleicht sogar aktiven Widerstand? Und wie weit darf man Kompromisse eingehen, nur um künstlerisch tätig bleiben zu können? Keine einfachen Fragen, aber ein spannendes Thema, dem sich Regisseur István Szabó (Sunshine) in seinem neuen Film Taking Sides – Der Fall Furtwängler widmet. Im Mittelpunkt des Dramas steht der inzwischen legendäre Dirigent Wilhelm Furtwängler, der im dritten Reich große Popularität in Deutschland genoss. Er hatte 1933 die schwierige Entscheidung getroffen, im Land zu bleiben. Da er von den Nazis hofiert wurde, befand er sich in einem ausweglosen Dilemma. Einerseits wollte er Widerstand leisten, andererseits musste er sich mit den Machthabern arrangieren, um dem schlimmen Schicksal eines politisch Gefangenen zu entgehen. Furtwänglers Leben unter den Nazis ist deshalb zwangsläufig voller Widersprüche und seine Person auch heute noch heftig umstritten. Bei seinen Konzerten saßen durchaus Nazigrößen wie Goebbels im Publikum und missbrauchten so den Ruhm des Dirigenten für ihre Zwecke. Allerdings gilt es als sehr wahrscheinlich, dass Furtwänglers Drahtseilakt mehreren jüdischen Orchestermitgliedern der Berliner Philharmoniker das Leben gerettet hat.

István Szabó verwendet einige von Furtwängler dirigierte Schlüsselwerke zur dramatischen Gestaltung seines Filmes. Dazu gehören die ersten beiden Sätze von Beethovens 5. Symphonie sowie jeweils die zweiten Sätze aus Schuberts Streichquartett D 956 und Bruckners 7. Symphonie. Die Mono-Aufnahmen aus den 40er Jahren lassen ihr Alter erkennen, vermitteln aber auch einen guten Eindruck in die Arbeit des berühmten Dirigenten. Diese nachzuempfinden versucht auch der Generaldirektor der Berliner Staatsoper Unter den Linden, Daniel Barenboim. Er dirigiert den ersten Satz der Schicksalssymphonie mit der Berliner Staatskapelle und hat über Kopfhörer versucht, die Tempi und Nuancen Furtwänglers zu imitieren. Diese „Nachspielung“ erlaubt den interessanten Vergleich beider Versionen. Als deutlicher Kontrast zu den klassischen Stücken stehen eine ganze Reihe von Swingnummern, die in den im Offiziersklub spielenden Szenen zu hören sind. „Moonlight Serenade“, „Route 66“ und „Embraceable you“ werden hier vom Swing Dance Orchestra eingespielt. Die beiden Volkslieder „American Patrol“ und das russische „Kalinka“ runden die CD ab.

Der Soundtrack von Taking Sides sitzt ein wenig zwischen den Stühlen. Wer sich für die von Furtwängler dirigierten Werke interessiert, wird vermutlich auf die zwei CDs umfassende Furtwängler-Edition der Deutschen Grammophon [1] zurückgreifen, die vor kurzem erschienen ist. Wer hingegen Swing hören möchte, wird wohl einschlägige Veröffentlichungen bevorzugen. Das Konzept des Soundtracks macht deshalb in meinen Augen nur wenig Sinn. Zu weit liegen Swing und Klassik auseinander. Darüber kann auch das ausführliche Booklet nicht hinwegtäuschen.


[1] Wilhelm Furtwängler dirigiert die Berliner Philharmoniker. Aufnahmen aus den Jahren 1942-44
Deutsche Grammophon 471 289-2 (Vol. 1) & 471 294-2 (Vol. 2)

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