Es ist im Kino immer wieder schön zu sehen, wenn Filme etwas wagen, sich filmischen Konventionen entziehen und ihre ganz eigene Filmwelt entfalten. Dies trifft auf zwei Filme beim diesjÀhrigen Filmfest ganz besonders zu: Museum Hours und das philippinische Drama Thy Womb.

Museum Hours (Ăsterreich 2013)
Der MuseumswÀrter Johann erzÀhlt von seiner Arbeit im Kunsthistorischen Museum in Wien, von den Bildern, den Besuchern und der Begegnung mit einer AuslÀnderin, die in die Stadt gekommen ist, um ihrer im Koma liegenden Cousine beizustehen. Beide freunden sich miteinander an, streifen durch die Stadt und entdecken diese wie das Museum immer wieder aufs Neue.
Jem Cohen gelingt das KunststĂŒck, in seinem Film das Kunsthistorische Museum von Wien zum Hauptdarsteller seines Filmes zu machen. Wenn der Zuschauer minutenlang einer speziellen FĂŒhrung zu den GemĂ€lden des niederlĂ€ndischen Renaissance-Malers Pieter Bruegel beiwohnt oder Johan ebenso lange aus dem Off die Museumsbesucher charakterisiert, dann wird der Kinobesucher hier gleichfalls zum MuseumsgĂ€nger. Zugleich wirft Museum Hours einen unverstellten, andersartigen Blick auf das winterliche Wien, welches er in langen Kameraeinstellungen festhĂ€lt. So wird Wien quasi zu einem zweiten Museum, was auch die originelle Schlussszene nahelegt.
Jem Cohen nimmt sich fĂŒr seine Geschichte alle Zeit der Welt. Museum Hours behandelt Themen wie VergĂ€nglichkeit, das VerhĂ€ltnis Mensch-Kunst und natĂŒrlich die Rezeption von Kunst. Es ist ein gleichermaĂen verschrobener, intelligenter wie reizvoller Film, der vom Zuschauer verlangt, sich auf ihn einzulassen. Die, die es tun, werden reich belohnt.

Westen (Deutschland 2013)
Frei nach Julia Francks Roman Lagerfeuer erzĂ€hlt Christian Schwochow (Novemberkind) in seinem neuen Film von der Chemikerin Nelly, die Ende der 70er Jahre eine Ausreisegenehmigung aus der DDR erhĂ€lt und schlieĂlich mit ihrem kleinen Sohn im Berliner Auffanglager Marienfelde landet. Doch das, wovor sie geflohen ist – ausgefragt und bespitzelt zu werden – findet eine unerwartete Wiederkehr. In endlosen demĂŒtigenden Verhören muss sie Alliierten Agenten Auskunft geben. Das Lager Marienfelde erweist sich als trostloser Ort, an dem die Menschen auf engen Raum monate-, manchmal sogar jahrelang auf die Aufenthaltsgenehmigung fĂŒr die Bundesrepublik warten.
Schwochow fĂ€ngt die beklemmende, schizophrene AtmosphĂ€re von Julia Francks Roman auf groĂartige Art und Weise ein. Vor allem die Hauptdarstellerin Jördis Triebel macht die DemĂŒtigung, die Unsicherheit und Paranoia im Lager durch ihr Spiel spĂŒrbar. Sie hilft dem Film auch ĂŒber kleinere dramaturgische SchwĂ€chen hinweg, wenn das Drehbuch Nelly eine unglaubwĂŒrdige AffĂ€re mit einem US-Agenten zuschreibt oder phasenweise sich unnötig in Richtung Thriller zu entwickeln droht. Diese filmischen Ablenkungen hat Westen gar nicht nötig. Schwochows Blick in ein lĂ€ngst vergessenes Kapitel deutsch-deutscher Geschichte ist auch so spannend und berĂŒhrend genug.

Thy Womb (Philippinen 2012)
Ein kleines, abgeschiedenes Fischerdorf auf den Philippinen: Hier lebt eine unfruchtbare Hebamme zusammen mit ihrem Mann. Sie ernĂ€hren sich vom Fischfang. Doch da sie keine Kinder bekommen kann, ist die Zukunft des Paares ungewiss. Also sucht sie fĂŒr ihren Mann eine zweite Ehefrau, doch die zu erbringende Mitgift ist bei vielen potenziellen BrĂ€uten schlichtweg zu hoch.
Brillante Mendoza portrĂ€tiert in Thy Womb auf annĂ€hernd dokumentarische Weise den Mikrokosmos des philippinischen Dorflebens. Der Zuschauer nimmt ĂŒber 100 Minuten am Alltag der Menschen teil, sieht bei einer Geburt zu, erlebt eine Hochzeit, den Fischfang und das KnĂŒpfen bunter Korbmatten. Doch die an sich isolierte Gemeinschaft wird immer wieder durch islamische Terroristen bedroht, die die Idylle des Dorfes zu zerstören drohen.
In Thy Womb lĂ€sst sich kaum eine Trennlinie zwischen Spielhandlung und Dokumentation ziehen, so authentisch wirkt die Inszenierung. Es sind archaische Bilder, in denen Mendoza auch nicht vor expliziten Szenen zurĂŒckschreckt. So zeigt er eine echte Entbindung ebenso wie die reale Schlachtung einer Kuh. Doch die eingeschrĂ€nkte Perspektive lĂ€sst gleichzeitig die Frage offen, wie sich das Dorfleben im Spannungsfeld von Tradition und Moderne weiter entwickelt. Die in Thy Womb gezeigten Dorfbewohner ordnen sich vollkommen ihrer Religion und ihren Traditionen unter. Gibt es auch andere Ansichten? FĂŒr einen solchen Diskurs interessiert sich Mendoza in seinem Film nicht. Eine Interaktion mit der modernen Welt findet kaum statt. Aber genau in diesem eingeschrĂ€nkten Fokus grĂŒndet zugleich auch die unglaubliche Faszinationskraft des Filmes. Selten erlaubt es ein Kinofilm dem Zuschauer, so tief in eine fremde Kultur einzutauchen wie Thy Womb es tut.
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