Tag 4: Brücken schlagen

Si-o-se-Pol, das ist eine berühmte Fußgängerbrücke in Iranischen Isfahan aus dem 17. Jahrhundert, die den Fluss Zayandeh Rud überquert. Und so heißt auch ein Deutscher Film, der einen Perser nach Spanien reisen lässt. Brücken schlagen auf einem Filmfest viele Filme, bieten Einblicke in andere Länder und ihre Kulturen. Ein wiederkehrendes Thema mehrerer Filme des diesjährigen Filmfests ist die Wirtschaftskrise und die daraus resultierende Perspektivlosigkeit vieler Menschen, ob der Blick nun in die Türkei, nach Slowenien oder wie im Falle von Si-o-se-Pol nach Spanien geht.

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Si-o-se-Pol – Die letzten Tage des Parvis Karimpour (Deutschland 2013)

Der Iraner Parvis Karimpour (Ramin Yazdani) ist schwer lungenkrank und hat nur noch wenige Tage zu leben. Er macht sich dennoch auf die beschwerliche Reise nach Spanien, um dort seine Tochter Nasrin zu suchen, die viele Jahre zuvor aus dem Iran fliehen konnte. In Madrid trifft er auf die junge Deutsche Almut, die in einem Laden Schmuck herstellt und den Italiener Fabrizio, der als Pianist gescheitert, sich sein Leben mit Putzjobs verdingt. Beide helfen ihm bei der Suche nach Nasrin.

Henrik Peschel gelingt mit seinem Film eine kleine, berührende Geschichte über ein Stückchen Hoffnung in Zeiten großer wirtschaftlicher Nöte. Die titelgebende Brücke dient dabei als Symbol der Verständigung und Solidarität zwischen den Menschen. Dabei scheut Si-o-se-Pol aber auch nicht davor zurück, Dinge zu verklären: Ist es wahrscheinlich, dass ein schwerkranker Mann, die beschwerliche Reise vom Iran nach Spanien als illegaler Flüchtling übersteht? Und wie wahrscheinlich ist es, dass er in einer fremden Stadt praktisch sofort Menschen findet, die ihm bereitwillig bei seiner Suche zur Seite stehen? Natürlich darf ein Film vereinfachen. Doch dann hätte die um Realismus bemühte Inszenierung dem Märchenhaften der Handlung mehr Rechnung tragen müssen. So macht es sich das eigentlich sympathische Drama phasenweise etwas zu einfach und kann daher nur bedingt überzeugen.

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Dual (Slovenien 2013)

Am Beginn steht eine klassische Liebesgeschichte: Die junge Dänin Iben wartet am Flughafen von Ljubljana vergeblich auch ihren Flug nach Athen, der gestrichen wurde. Sie wird von Tina, einer Angestellten der Fluggesellschaft, in ein nahe liegendes Hotel gebracht. Die beiden jungen Frauen lernen sich kennen und durchstreifen nachts die Straßen der slowenischen Hauptstadt. Tina beneidet die junge Dänin, um ihre Freiheit, zu reisen. Doch es ist nicht so einfach, wie es scheint, denn Iben verbirgt ein Geheimnis.

Was in der ersten Hälfte wie eine lesbische Version von Before Sunrise anmutet und dank der wunderbaren Chemie zwischen den beiden großartigen Hauptdarstellerinnen Mia Jexen und Nina Rakovec den Zuschauer ähnlich gefangen nimmt, entwickelt sich in der zweiten Hälfte in eine etwas andere Richtung. Als die beiden Frauen Tinas Familie besuchen, wirft der Film einen beklemmenden Blick auf die slowenische Gesellschaft und ihre Probleme, thematisiert zerstörte Träume und verpasste Chancen. Die aufkeimende und möglicherweise unmögliche Liebe zwischen Tina und Iben wird mit dem echten Leben konfrontiert.

Nejc Gazvoda ist mit seinem zweiten Spielfilm ein aufwühlendes Drama gelungen, das eine märchenhafte Liebesgeschichte der harten gesellschaftlichen Realität unserer Tage gegenüberstellt. Großartig ist der Regieeinfall, den Film mit dem melancholischen Song „Cold Heart“ beginnen und enden zu lassen, den die Darsteller lippensynchron intonieren. Dual ist ein wunderschöner, aber auch unendlich trauriger Film, märchenhaft und lebensecht zugleich. Kinomagie pur.

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Der blinde Fleck (Deutschland 2013)

Am 26. September 1980 starben bei einem Bombenattentat auf das Münchener Oktoberfest zwölf Menschen, 211 wurden verletzt, 68 davon schwer. Nach nur wenigen Tagen stand das Ergebnis der offiziellen Ermittlungen fest: Gundolf Köhler, ein Mann mit Verbindungen zur rechten Szene, sei als isolierter Einzeltäter für die Tat verantwortlich, hieß es. Schnell gab es Zweifel an der offiziellen Variante: Zeugenaussagen, die von mehreren Tätern sprechen, wurden von den Ermittlern vorsätzlich ignoriert, tiefergehende Ermittlungen komplett ausgespart. Bis heute wurde die Beweisführung nicht neu eröffnet.

Daniel Harrich erzählt in seinem Film Der blinde Fleck von den Recherchen des BR-Journalisten Ulrich Chaussy (Benno Führmann), der in Folge des Attentats Ungereimtheiten und Lügen aufdeckt und auf Seiten von Politik und Justiz auf eine Mauer des Schweigens stößt. Seine Ermittlungen legen nahe, dass damals auf politischen Druck der Landesregierung unter Franz Josef Strauß die Verbindung Köhlers zur rechten Szene verharmlost und verschleiert wurde, weil das Attentat mitten im Bundestags-Wahlkampf stattfand.

Harrichs Film entreißt in Der blinde Fleck ein längst vergessenes Kapitel deutscher Nachkriegsgeschichte dem Vergessen. Durch die geschickt gewählte Perspektive, die den Journalisten Chaussy in den Mittelpunkt des Spielfilms stellt, gelingt es ihm über die geschichtliche Aufarbeitung hinaus, die Konsequenzen des investigativen Journalismus im Privaten zu beleuchten. Wenn Chaussys Ehefrau (Nicolette Krebitz) droht, ihn zu verlassen, weil das Paar durch seine Ermittlungen in Gefahr gerät, wird deutlich, was es wirklich bedeutet, einen solchen Weg zu gehen. Es wird spannend sein zu sehen, welche Diskussionen Der blinde Fleck beim Kinostart oder einer TV-Ausstrahlung auslöst. Eine Wiederaufnahme des Falls scheint zumindest derzeit unwahrscheinlich, so wünschenswert sie wäre. So oder so: Der blinde Fleck bietet einen spannenden, aufschlussreichen Blick in ein wenig beachtetes Stück deutscher Nachkriegsgeschichte und ist damit unbedingt sehenswert.