Tag 2: Von falscher Illegalität

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Immer wieder Romy Schneider: Wenn man in Braunschweig dieser Tage durch die Straßen läuft, blicken einem immer wieder die Augen der berühmten Schauspielerin entgegen: Sie zieren nämlich in diesem Jahr das offizielle Plakat des Filmfests. Das Filmfest, so scheint es, wird von der ganzen Stadt gelebt. Viele Läden haben die Auslage ihrer Schaufenster hübsch mit Plakaten, Filmrolle und Programmbüchern dekoriert. Ein gelber Filmfest-Bus fährt durch die Straßen. Diese Identifikation mit der Veranstaltung wirkt sympathisch. Doch nun zu den gestern gezeigten Filmen:

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Miral (Israel/Italien/Indien 2010)

Mit Miral wurde Julian Schnabels neuer, aufgrund seiner umstrittenen Thematik bereits viel diskutierter Film nun auch dem Braunschweiger Filmfestpublikum vorgestellt. Erzählt wird die Geschichte des Mädchens Miral, die im Jerusalemer Waisenhaus Dar Al-Tifl aufwächst und als Heranwachsende auf Seiten der Palästinenser in den Kampf gegen die Israelische Besatzung gezogen wird. Das Drehbuch stammt von Schnabels Lebensgefährtin Rula Jebreal, die damit ihre eigenen Kindheits- und Jugenderlebnisse verarbeitet hat. Das generationsübergreifende Porträt einer Familie im Spiel der Zeit spannt den Bogen von der Staatsgründung 1948 bis hin zu den ersten Verhandlungen in Oslo in den Jahren 1993/94. Virtuos gelingt es Schnabel, die verschiedenen Handlungsfäden der geschickt verästelten Geschichte zusammenzuführen. Durch den Einsatz von Handkameras und dem Spiel mit Farbfiltern und Unschärfe entsteht beim Zuschauer der Eindruck, so etwas wie verschwommene Erinnerungsfetzen zu sehen. Kameramann Eric Goutier findet immer wieder einfache, aber äußerst effektvolle Bilder für schwierige Szenen des Films wie etwa die Vergewaltigung von Mirals Mutter. Auch wenn mancher Kritiker Miral eine einseitige Perspektive und Parteinahme für die palästinensische Seite vorgeworfen hat: Letztendlich entwirft Julian Schnabel ein sensibles Zeitporträt, das im Wunsch auf Versöhnung und dem Streben nach Frieden mündet. Nicht unerwähnt bleiben darf das herausragende Darsteller-Ensemble. Allen voran Alexander Siddig (Syriana) als Mirals Vater und Hiam Abbass (Paradise Now, Lemon Tree) als Leiterin des Waisenhauses brillieren in ihren Rollen.

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Illégal (Belgien 2010)

Nicht weniger berührend und beklemmend ist der Belgische Film Illégal von Olivier Masset-Depasse. Im Mittelpunkt steht die Russin Tania (Anne Coesens), die mit ihrem 14jährigen Sohn illegal in Belgien lebt. Eines Tages wird sie gefasst und soll abgeschoben werden, während ihr Sohn fliehen kann. Das geradlinig inszenierte Drama zeigt eindrucksvoll, was mit illegalen Einwanderern passiert, die in Ungewissheit über ihre Zukunft wochenlang in den trostlosen Baracken eines Abschiebe-Zentrums verbringen müssen. Das hervorragende Spiel von Anne Coesens führt zur einer Intensität und dramatischen Wucht, der sich wohl kaum ein Zuschauer entziehen kann. Eine Stärke des Films ist dabei, dass er bis auf das letzte (möglicherweise etwas zu spekulative) Drittel darauf verzichtet, Menschenrechtsverletzungen zu zeigen. Der Alltag, die Verhöre, die Freiheitsberaubung werden für die Illegalen Einwanderer zur Hölle auf Erden. Diese Unmenschlichkeiten – Schattenseite der EU-Politik – müssen stoppen – so lautet die eindeutige Botschaft des eindrucksvollen und sehenswerten Filmes.

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Tilva Roš (Serbien 2010)

Jackass in Serbien – So einfach könnte man den Film Tilva Roš von Nikola Ležaic zusammenfassen. Der Nachwuchsregisseur porträtiert in seinem Debütfilm eine Gruppe Jugendlicher, die einen Sommer in der ehemals größten Kupfermine Europas, Bor, abhängen. Gezeichnet von Perspektivlosigkeit und Armut vertreiben sie sich die Zeit mit für youTube gefilmten Stunts und Selbstverstümmelungen. Da wird eine Nadel durch die Nase gestochen, ein Knie mit einer Käse-Raspel bearbeitet. sich geschlagen, Autos demoliert und ein Supermarkt verwüstet. Auch wenn Nikola Ležaic eine stimmige Milieuzeichnung gelingt (es agieren hauptsächlich Laiendarsteller, die sich selber spielen), ist dies viel zu wenig, um den Film über 100 Minuten zu tragen. Die Aneinanderreihung nahezu folgenloser Streiche und Gewaltdarstellungen ermüdet schnell und wirkt phasenweise unerträglich. Der Verzicht auf jegliche Dramaturgie lässt Tilva Roš auf ganzer Linie scheitern. Aber welche Ambitionen hatte der Regisseur? Womöglich keine. Mit Tilva Roš habe man einfach nur Spaß haben wollen, hat Ležaic angeblich ausgesagt. In Sarajevo gab es dafür den Preis für den „Besten Film“ und den „Besten Hauptdarsteller“. Über das fragwürdige Verständnis von „Spaß“ und die Auszeichnungen kann man letztendlich nur den Kopf schütteln. Für einen guten Film reicht es eben nicht aus, allein die Lebensrealität von Jugendlichen halbwegs glaubwürdig zu bebildern.