Sinnsuche in drei Varianten

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Parisienne (Frankreich 2016)

Dinge, die sie hässlich findet, soll die 18-jährige Studentin Lina in einem Literaturseminar an der Pariser Uni aufschreiben. „Bisher noch alles“ steht kurze Zeit später zynisch in ihrem Heft. Die junge Frau stammt aus dem Libanon und findet sich erst langsam in der neuen Welt zurecht. Sie lebt bei Verwandten. Doch als der Onkel zudringlich wird, flieht sie und schlägt sich fortan mit Gelegenheitsjobs durch. Der Start in ein neues selbst bestimmtes Leben gestaltet sich kompliziert, zumal das Damoklesschwert der Abschiebung ständig über ihr schwebt.

Der französische Spielfilm Parisienne -Peur de rien erzählt so sorgfältig wie stimmig von den Nöten einer jungen Frau in einem ihr fremden Land Anfang der 90er-Jahre. Die heute so oft gestellte Frage nach dem Gelingen der Integration stellt sich in dem zum Teil autobiografischen Film von Danielle Arbid, nicht. Es geht vielmehr um den steinigen Weg einer jungen Frau in ein freies, selbstbestimmtes Leben. Ihr „Migrationshintergrund“ ist dabei ein wichtiger, aber nicht entscheidender Kontext. Dem Film geht es letztlich auch um mehr. Ganz beiläufig und sorgfältig beobachtet, erzählt Parisienne von den unterschiedlichen gesellschaftspolitischen Strömungen im Land. Lina begegnet ebenso Royalisten, die sich einen Monarchen zurückwünschen wie idealistischen Links-Aktivisten, die mittels Flugblättern und Zeitungen die Welt verändern wollen.

Parisienne entwickelt sich zu einem vielschichtigen Kaleidoskop von Beobachtungen und Eindrücken. Der Film ist eine sympathische Mischung aus Coming of Age-Geschichte, Milieustudie und Zeitporträt zugleich. Im Mittelpunkt steht die großartige Hauptdarstellerin Manal Issa, die ganz wunderbar zwischen scheuer Verletzlichkeit und dem hartnäckigen Streben nach Selbstbestimmung agiert. Ihre Präsenz ist es, die viel vom Reiz des lebensnahen und intelligenten Dramas ausmacht.

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If the Sun explodes (Niederlande 2016)

An einem etwas weiteren Punkt im Leben scheint das junge Backpacker-Paar zu Beginn des niederländischen Films If the Sun explodes zu stehen.  Yara und Philippe machen einen Wanderurlaub durch die Wälder Litauens. Beide sind frisch verliebt und genießen die ungewöhnliche Reise. Doch schnell kommt es zu Unstimmigkeiten. Während Yara von einer Zukunft mit Kindern und Familie träumt, will Philippe frei sein und die Welt verändern. Yara fühlt sich zunehmend von Philippe, der in einer eigenen Welt zu leben scheint, im Stich gelassen.

Mit geringem Budget und viel Enthusiasmus gedreht, erzählt If the Sun explodes von den Aufs und Abs einer jungen Liebesbeziehung. Richtig überzeugend ist das allerdings nicht. Die Dialoge bleiben oberflächlich, die Bilder von allzu plakativer Symbolkraft. Es gibt eine Einstellung, die im Grunde den ganzen Film erzählt: Die Kamera blickt von oben auf das im Bett liegende Paar (die Köpfe am unteren Bildrand). Er schläft, sie ist hellwach und hat die Augen weit geöffnet. Die Welt steht auf dem Kopf. Aber er bekommt es nicht einmal mit.

Hanna van Niekirks Debütfilm vertraut ganz auf diese simple Grundkonstellation und gerät dabei doch arg stereotyp. Während Yaras Selbstbewusstsein erwacht, darf Philippe nie mehr sein als großspurig und selbstverliebt. Das Potenzial des Schauplatzes Litauen wird geradezu sträflich vernachlässigt. Der Film könnte in jedem x-beliebigen Wald spielen.  Und auch die aus einfachen Gitarrenakkorden bestehende Filmmusik fügt sich bruchlos in die biedere und manchmal auch etwas ungelenke Inszenierung ein.

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In the Blood (Dänemark 2016)

Verantwortung wird überschätzt. Nach diesem Motto lebt der Medizinstudent Simon zwischen Studium, Drogen- und Alkoholexzessen in einer umtriebigen Männer-WG. Sein Plan, in Bolivien auf einem Krankenhausschiff zu arbeiten, liegt noch in weiter Ferne, zumal sich Simons Leben im Umbruch befindet: Die WG löst sich aufgrund neuer Lebenspläne und Streitereien auf. Und auch Simon bedroht mit seinen Eskapaden die eigene Lebensplanung.

Rasmus Heisterberg wirft in seinem Regiedebüt In the Blood – I Blodet einen ungeschminkten Blick auf das Leben angehender Medizinstudenten, die trotz Bestnoten im Studium in Wahrheit nicht die nötige Reife für ein eigenverantwortliches Handeln besitzen. Doch trotz exzellenter Darsteller krankt das an sich solide Drama auf mehreren Ebenen: Das Drehbuch erlaubt sich zu viele Leerstellen: Wie es den Freunden trotz ständiger Partys und Urlaubstrips immer wieder gelingt, Bestnoten zu erhalten (der Zuschauer sieht sie nicht einmal beim Lernen) bleibt ebenso nebulös wie die Frage, warum sich der eigentlich intelligente Simon immer wieder zu einem derart unreifen Handeln hinreißen lässt. Dass er es sich am Ende des Films dann doch plötzlich anders überlegt, wirkt obendrein aufgesetzt.

Auch formal bleibt In the Blood wenig aufregend. Der gemächliche Erzählrhythmus ermüdet. Und der Versuch, dem Drama mittels expliziter OP-Szenen etwas Leben einzuhauchen, wirkt wenig überzeugend. Ein kleiner Lichtblick sind hingegen originelle Kameraeinstellungen, in denen die Urwälder des Amazonas hinter das Stadtpanorama Kopenhagens montiert werden. Bevor es auf nach Südamerika geht, suggerieren sie, muss Simon erst einmal den Dschungel im eigenen Leben durchqueren. Solche Regieeinfälle besitzen aber leider Seltenheitswert. Und so ist Rasmus Heisterbergs In the Blood nur eine weitere, mäßig überzeugende Coming of Age-Geschichte, die durch ihre Drehbuchschwächen kaum zu fesseln vermag.