Rolf Wilhelm – Deutsche Filmmusikklassiker

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Rolf Wilhelm

Rolf Wilhelm gehörte nach dem zweiten Weltkrieg bis in die frühen 90er Jahre hinein zu den wichtigsten deutschsprachigen Filmkomponisten. Hunderte von Arbeiten für Kino und Fernsehen gehen auf sein Konto – ein Umstand, der sich aber leider nicht in einer umfangreichen Diskographie widerspiegelt. Eine Schande, wenn man an die Verdienste des Komponisten um die Deutsche Filmgeschichte, aber nicht zuletzt auch sein Können als Tonsetzer denkt (Für einen biographischen Abriss und ein lesenswertes, umfangreiches Interview mit dem Komponisten sei auf das Special der Kollegen von Cinemusic verwiesen). Wenn heute Wilhelms Filmmusiken auf CD erscheinen, ist dies darum ein besonderes Ereignis. Denn dass überhaupt noch Aufnahmen der originalen Filmmusiken existieren, verdanken wir meist allein Wilhelm selber, der viele seiner Musiken auf Bändern über die vielen Jahre hinweg im Privatarchiv aufbewahrt hat.

Nachdem vor einigen Jahren das bemühte Label Cobra Records bereits die großartigen Wilhelm-Musiken zu den Nibelungen-Filmen und dem Heimatfilm Und ewig singen die Wälder (inklusive Fortsetzung) auf CD veröffentlicht hat, tritt nun Alhambra in Zusammenarbeit mit dem Deutschen Filmmusikmagazin Cinema Musica mit zwei Wilhelm-CDs in der neuen Serie „Deutsche Filmmusikklassiker“ die Nachfolge an (Weitere Wilhelm-CDs sind übrigens in Vorbereitung). Die ersten beiden Editionen widmen sich vier Fernsehverfilmungen von Romanen des Österreichischen Schriftstellers Joseph Roth (alle inszeniert von Michael Kehlmann), zu denen Wilhelm die Musik beisteuerte. Erstaunlich ist, dass in allen Fällen das Geld für eine umfangreiche sinfonische Gestaltung vorhanden war. Ein Umstand, der diese Arbeiten zu besonders bemerkenswerten Raritäten im Deutschen Filmmusik-Betrieb der 60er bis frühen 80er Jahre des vergangenen Jahrhunderts macht. Dank der sorgfältigen, atmosphärisch dichten Ausarbeitung und der thematischen Einfallskraft tragen sie völlig zurecht den Titel „Klassiker“ und verdienen es, von einer neuen Generation auf CD entdeckt zu werden.

Vol. 1: Tarabas (1982)/ Hiob (1978):

Den Anfang macht Tarabas, die Geschichte eines Russen, der geläutert auf sein verwerfliches Leben als Mörder und Kriegsverbrecher zurückblickt. Im Mittelpunkt der Wilhelmschen Komposition steht ein slawisch gefärbtes, rhapsodisches Hauptthema, dass die Partitur in vielfältigen Variationen quasi als Leitfaden durchzieht. Die Verbrechen der Titelfigur werden durch düstere Stücke mit dissonant ineinander verschobenen Klangflächen gespiegelt, wobei handlungsgemäß auch militärische Rhythmik eine gewisse Rolle spielt. Diese spröden Passagen stehen im Kontrast zu den stärker melodisch orientierten Anteilen, über denen die elegische, anmutige Melodie des Hauptthemas thront.

Im Duktus ganz ähnlich präsentiert sich die zweite Vertonung der CD zu Hiob (die biblische Dichtung diente Roth als Romanvorlage), wobei das slawische Kolorit hier einer hebräischen Prägung weicht. Ein Tarabas vergleichbar markant im Mittelpunkt stehende Melodie fehlt bei Hiob allerdings. Sie wird durch eine leitmotivisch orientierte Gestaltung ersetzt. Ein Gebets- und Demutsthema für die Hauptfigur des russischen Juden Mendel Singer und folkloristische anmutende Motive für seinen Sohn Menuchim und die Tochter Miriam bilden die Basis der Partitur. Dazu gibt es zwei Zitate: Auf der Solovioline erklingt das bekannte jüdische Lied „Kol nidrei“. Wilhelm schreibt dazu im Begleitheft, dass er es als Ausdruck des frommen Gottvertrauens Singers eingesetzt habe. Ein Zitat des berühmten Motivs aus Dvoraks „Neuer Welt“-Symphonie begleitet schließlich die Reise der schicksalsgebeutelten Familie in die Vereinigten Staaten.

Vol. 2: Flucht ohne Ende (1985) / Radetzkymarsch (1965) / Don Juan (1960):

Flucht ohne Ende, die erste Musik der zweiten CD, knüpft stilistisch ebenfalls an die beiden Musiken zu Tarabas und Hiob an. Besonders einnehmend bei dieser Musik ist das prachtvolle, lyrische Hauptthema, welches ein klein wenig an das deutlich später (circa 17 Jahre) entstandene „Across the Stars“ (aus Star Wars – Episode II) von John Williams denken lässt. Insgesamt ist Flucht ohne Ende die lyrischste der vier Musiken. Schwelgerische Streichermelodien, feine Verzierungen durch Harfe und Holzbläser und ein erneut gekonnter Variationssatz nehmen für die besonders elegante Komposition ein. Gemäß der schicksalhaften Geschichte eines Kriegsgefangenen der nach Sibirien geschickt wird, gehört auch hier ein guter Schuss slawischer Melancholie zur Tonsprache.

Der wohl berühmteste Roman Roths ist aber wohl der Radetzkymarsch. Wenig überraschend benutzt Wilhelm den berühmten Marsch von Johann Strauß (Vater) als naheliegenden Ausgangspunkt für seine kraftvolle Komposition. Es beeindruckt, mit welcher Variationskunst er dem eigentlich abgedroschenen Thema neue Facetten und raffinierte Schattierungen abgewinnt. Ferner bemüht Wilhelm verschiedene (ausgewiesene) Klassikzitate: zum Beispiel finden der Kaiserwalzer von Richard Strauss, der Trauermarsch von Chopin und die Haydn-Hymne „Gott erhalte Franz den Kaiser“ Verwendung. Die Zitat-Vielfalt schadet der Musik aber nicht. Im Gegenteil: Wilhelm integriert sie in eine organische, griffige Orchestersprache von großer Eigenständigkeit.

Als Bonus der zweiten CD dient die Bühnen- und Filmmusik zu Don Carlos, eine prunkvolle, üppig orchestrierte Vertonung, die Wilhelms Tonsprache mit der Stilistik der spanischen Renaissance verknüpft. Ein feiner, vorzüglicher Schlusspunkt der beiden hochwertigen und auch editorisch überzeugenden CDs. Das Königsmotiv dürfte manchem Kenner übrigens bekannt vorkommen: Es ist der Beginn des „Siegfried-Motivs“ aus den sieben Jahre später entstandenen Nibelungen – kein Selbstplagiat, sondern ein unbewusstes Zitat wie Wilhelm im informativen Begleittext erklärt. Auch so etwas kann es geben.

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