Luther – Richard Harvey

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Richard Harvey

Am 31. Oktober 1517 schlug Martin Luther (1483-1546) angeblich seine 95 Thesen an die Schlosskirche in Wittenburg, um damit den Ablasshandel der Kirche anzuprangern. Dazu passend startete pünktlich zum Jahrestag die Filmbiographie Luther am 30.10.2003 in den deutschen Kinos. Darin wird – etwas geglättet, da von der evangelischen Kirche finanziert – das Leben des Reformators nachgezeichnet. In den Hauptrollen zu sehen sind Joseph Fiennes als Luther, Sir Peter Ustinov als Friedrich der Weise sowie Alfred Molina als Johann Tetzel.

Für die Filmmusik zu der ambitionierten filmischen Geschichtsstunde wurde mit Richard Harvey (Arabian Nights (2000); Foto rechts) ein Kenner in Sachen mittelalterlicher Musik verpflichtet. Nach einem Abschluss am Royal College for Music sammelte der Brite in den 70er Jahren erste Erfahrungen im Crossover von progressivem Rock und barocker Musik beim Folkloreensemble Gryphon. Später bemühte er sich um die Rekonstruktion historischer Musikstile als Mitglied der Formation Musica Reservata. Erst in den 80er und 90er Jahren begann er zunehmend, Filmpartituren zu schreiben – etwa fürs US-Fernsehen Animal Farm und Arabian Nights. Für den Konzertsaal verfasste er 1989 zudem das Oratorium „Plague and Moonflower“.

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Zu Luther hat Richard Harvey eine klangschöne, pastorale Filmmusik komponiert, die in den Harmonien, der Verwendung alter Instrumente und den kirchlichen Gesängen auf mittelalterlicher Folklore und Kirchenmusik fußt, diese Basis aber in eine durchaus moderne Filmkomposition einbettet. Die Fachkenntnisse und Liebe des Komponisten für mittelalterliche Musik zeichnen die Partitur aus. Ein Zugewinn war es dabei zweifellos, dass Harvey in der Lage war, alle zeitgenössischen Instrumente für die Aufnahme selber zu spielen. So ergibt sich aus der Mischung von sakralen Chorälen, folkloristischen Einschüben und schönem Streicherwohlklang ein stimmungsvolles musikalisches Zeitporträt, das sich aber stets in den Kontext der dramatischen Gestaltung einordnet. Aus diesem Grunde lässt sich von einer sehr organischen und eleganten Filmkomposition sprechen, wie es sie lange nicht mehr zu hören gab. Ähnlich manchem „historischen“ Klassiker aus dem Golden Age (wie zum Beispiel Ivanhoe oder Knights of the round Table von Miklós Rózsa) kann man Luther nicht als authentische historische Musik im eigentlichen Sinne bezeichnen. Vielmehr handelt es sich um eine sorgfältig gestaltete Partitur mit exzellent herausgearbeiteten historischen Elementen.

Auch über die lange Lauflänge von über 70 Minuten Spielzeit weiß die mit dem Riga Kamermuziki & Latvian Radio Chorus exzellent eingespielte Komposition mit Abwechslungsreichtum und schönen Themen zu begeistern. Man merkt der Arbeit an, dass es sich hier um eine Herzensangelegenheit des Komponisten gehandelt hat. Luther ist damit eine der bislang schönsten Filmmusiken des Jahres – und dies jenseits plumper oder gehypter Blockbustervertonungen, wie sie den ganzen Sommer über aus den Multiplexen tönten.