„Krieg ohne Krieg“ – La troisième Guerre

Was in Deutschland undenkbar wäre, ist in Paris seit den Terroranschlägen von 2015 schon viele Jahre Realität: Auf den Straßen von Paris patrouilliert das französische Militär, mit der Aufgabe, weitere Gewaltakte zu verhindern. Es sind zum Teil junge Soldaten, knapp über 18, die hier schwer bewaffnet ihren Dienst verrichten. Doch wer sind diese jungen Menschen und was macht der Einsatz mit ihnen? Giovanni Aloi geht dieser Frage in seinem zweiten Film La troisième Guerre nach. „Der dritte Krieg“, so die deutsche Übersetzung des Titels, ist der Krieg gegen den Terror – ein unsichtbarer Feind auf den Straßen von Paris. Im Mittelpunkt der Handlung steht der aus prekären Verhältnissen stammende Léo, der gerade seine Militärausbildung beendet hat, und nun mit großem Pflichtbewusstsein seinen Dienst verrichtet. Mit ihm auf den Straßen unterwegs sind der draufgängerische Hicham und die Einsatzleiterin Yasmine, die vor den ranghöheren Vorgesetzten ihre Schwangerschaft verheimlicht.

Wie Hicham seinen Kollegen berichtet, kann alles verdächtig sein: Eine leere Mülltonne, ein achtlos abgestelltes Gepäckstück, das freundliche Mädchen, das an der Straßenecke um Hilfe bittet. Doch in der Praxis erweist sich die Arbeit als schwierig: Knapp bevor der Kampfmittelräumungsdienst erscheint, nimmt ein Reisender seine abgestellte Tasche einfach wieder mit und ein mysteriöser Passant, der offensichtlich unlauteren Machenschaften nachgeht, entpuppt sich als Drogendealer, den die Polizei schon länger im Visier hatte. La troisième Guerre zeigt mit präziser Beobachtungsgabe den zermürbenden Alltag der Soldaten: Scharmützel mit der Polizei um Zuständigkeiten, Beleidigungen von Passanten, die keine Lust auf Soldaten in ihrer Stadt haben und die ständig über allem schwebende Paranoia, in Gefahr zu sein, dass jeden Moment doch etwas Unerwartetes passieren könnte. Auch bei Léo, den Anthony Bajon mit einer Mischung aus Naivität und wilder Entschlossenheit spielt, hinterlässt der Dienst, der die meiste Zeit aus Untätigkeit besteht, Spuren: Abends muss der Schluck aus der Pulle her, eine Familie, die ihn auffangen könnte, gibt es nicht. Und von einer Zufallsbekanntschaft in der Disco wird er nur verspottet.

Giovanni Aloï überträgt die Paranoia der Einsätze geschickt auf das Publikum. Die grau stilisierten Bilder zeigen ein kaltes Paris aus ungewohnter Perspektive. Als Zuschauer können wir nie sicher sein, ob in der abgestellten Tasche nicht doch ein Sprengsatz vor sich hintickt. Und was blinkt da im parkenden Lieferwagen immer schneller? La troisième Guerre entzieht sich einer eindeutigen Wertung über Sinn und Unsinn der militärischen Einsätze. Man ertappt sich beim Sehen dabei, dass man insgeheim doch ganz froh ist, dass jemand für uns aufpasst und nachsieht. Gleichzeitig lässt sich die große Absurdität der Patrouillen kaum verhehlen angesichts eines potenziellen Feindes, der überall und jederzeit zuschlagen könnte. Geradezu bizarr mutet es an, dass die Soldaten nicht einmal einen Taschendieb festhalten oder Ausweispapiere verdächtiger Personen kontrollieren dürfen. Und so verwundert es auch nicht, dass der Feind im beklemmenden Finale von La troisième Guerre aus dem Inneren kommt. Und dann ist sie auf einmal doch da, die große Sinnfrage. Seit 2016 gab es keine größeren Terroranschläge mehr in Frankreich. Die Soldaten gehören aber längst zum Stadtbild. Man hat sich nur schlichtweg an sie gewöhnt.

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