„Die richtige Familie“ – The Family

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Die ersten Szenen von The Family zeigen Harmonie pur: Da tanzt die Familie ausgelassen im Urlaub zur Musik, toben die Kinder mit den Eltern durch eine Badelandschaft. Doch für den kleinen Simon sind die Tage mit den anderen gezählt. Er ist seit seinem achtzehnten Lebensmonat als Pflegekind Teil der Familie und soll nun zu seinem leiblichen Vater zurückkehren. Der konnte nach dem Tod der Mutter nicht für ihn sorgen, möchte aber jetzt für seinen Sohn da sein, ein Wunsch, den das Jugendamt ausdrücklich unterstützt. Für die Pflegefamilie bricht damit eine Welt zusammen. Zu eng war die Bande, die alle über mehrere Jahre geknüpft haben. Die anderen beiden Kinder wollen nicht ihren geliebten Spielkameraden verlieren. Und der kleine Simon versteht die Welt nicht mehr, warum er beim Kindergeburtstag nicht mehr teilnehmen darf und stattdessen Zeit mit seinem richtigen Vater verbringen soll. Vor allem die Pflegemutter Anna (Mélanie Thierry) hadert damit, „ihr“ Kind weggeben zu müssen und zweifelt daran, dass Simon bei seinem leiblichen Vater wirklich besser aufgehoben wäre.

Tatsächlich ist das Haus der wohlhabenden „Familie“ hell und freundlich, großzügig dimensioniert. Es ist genügend Geld für Urlaub und Ausflüge da. Bei den Hausaufgaben ist immer Hilfe zur Stelle und jeder hat ein offenes Ohr für den anderen. Geradezu trostlos wirkt dagegen die Wohnung des Vaters in einem anonymen Hochhaus im Brennpunktviertel. Eine Szene, in der die Pflegemutter Simon, zu seinem Vater bringen soll, spricht da Bände: Annas Söhne fragen, ob sie auf den Spielplatz vor dem Hochhaus, auf dem ein paar Jugendliche herumlungern, gehen dürfen. Die Antwort ist ein bestimmtes Nein. Mit diesem Milieu möchte man dann doch lieber nichts zu tun haben. Es ist eine der besten Momente in Fabien Gorgearts Filmdrama, weil sich hier die Klassenunterschiede zwischen beiden Welten offenbaren und sich zwangsläufig die Frage nach der Chancengleichheit in beiden Milieus stellt. Leider vertieft das Drehbuch diesen Konflikt kaum und wählt allein die Perspektive der fürsorglichen Familie, die mit viel Zeit und Liebe für ihre Kinder da ist. Es zerreißt das Herz, anzusehen, wie Anna langsam Abschied von Simon nehmen muss. Da darf der Kleine auf Wunsch des Jugendamts plötzlich nicht mehr „Mama“ zu ihr sagen, soll Weihnachten beim Vater verbringen, statt in den gemeinsamen Skiurlaub zu fahren. Und wenn dann schließlich der Zeitpunkt der endgültigen Trennung gekommen ist, dürften die meisten Zuschauer mehr als nur eine Träne verdrücken.

Doch so nachvollziehbar und berührend der Schmerz der Pflegefamilie ist, stellt sich dennoch die Frage, ob das Melodram seine Sympathien nicht zu einseitig verteilt. Es grenzt schon sehr am Werbespot-Kitsch, wie hier in sonnen-durchfluteten Einstellungen eine perfekte Bilderbuchfamilie inszeniert wird, mit der der unbeholfen wirkende leibliche Vater, bei allem unbestrittenen Anrecht auf das Sorgerecht, zwangsläufig nicht mithalten kann. Was für ein starker Film hätte The Family sein können, wenn das Drehbuch parallel auch seine Perspektive stärker herausgearbeitet hätte. Doch Fabien Gorgeart wollte in seinem sehr persönlichen Wettbewerbsbeitrag primär die Erfahrungen aus seiner eigenen Familiengeschichte verarbeiten. Und auch wenn es ihm dank wunderbarer Kinder-Schauspieler gelingt, zu zeigen, was es bedeutet, ein Pflegekind aufzunehmen, geht seinem Film das Gespür für den größeren gesellschaftspolitischen Kontext seiner Geschichte ab. Denn anders als beim leiblichen Vater fällt es leicht, sich mit Anna und ihrer Familie zu identifizieren. Viel zu leicht.

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