„Der Traum des anderen Ichs“ – Miss Osaka

Von außen wirken die Leben anderer Menschen immer einfach. Und so lässt sich auch die junge Ines (herausragend: Victoria Carmen-Sonne) blenden, als sie in Norwegen per Zufall die schillernde Japanerin Maria kennenlernt. Maria, die eigentlich Mimiko heißt, und Maria, die alles zu sein scheint, was sie ihrem Empfinden nach selbst nicht ist: selbstbewusst, charismatisch, enigmatisch und gleichermaßen verführerisch. Als beide auf der Suche nach den Polarlichtern in der Natur übernachten, ist Maria am nächsten Morgen verschwunden. Ines muss entsetzt feststellen, dass ihre neue Freundin Selbstmord begangen hat. Sie ist fortan von ihr besessen, nimmt ihre Identität an und reist nach Japan, um in dem Nachtclub Miss Osaka, in dem Mimiko vor ihrem Tod angestellt war, zu arbeiten. Nach anfänglichen Schwierigkeiten lernt sie von den anderen Frauen, wie sie die Männer im Club mit groß aufgerissenen Augen, schmeichelndem Interesse und betörendem Gesang um den Finger wickeln kann – bis sie an den unnahbaren Ex-Liebhaber Mimikos gerät und sich mit ihm trotz Warnungen auf eine Beziehung einlässt.

Daniel Denciks starker Wettbewerbs-Film besitzt formal viele Vorbilder. Die Nachtclubszenen erinnern an Atom Egoyans Exotica, in der Rätselhaftigkeit des Plots mag man auch an das Kino eines David Lynch oder Wong Kar-Wais denken. Nach Angaben des Regisseurs stand zudem auch Atonionis Beruf: Reporter mit Jack Nicholson als Ideengeber Pate. Trotz dieser Vorbilder entwickelt Miss Osaka aber durch seine betörende audiovisuelle Sprache eine ganz eigene Sogkraft. Wenn die Kamera die beiden Hauptfiguren vor der tristen winterlichen Kulisse einfängt, Ines im grünen, Maria im strahlend rot leuchtenden Kleid und dazu der eigenwillige Elektro-Score von Yasuaki Shimizu erklingt – dann schaut man als Zuschauer längst gebannt zu, wohin die filmische Reise von Ines wohl führen mag. Es entwickelt sich ein atmosphärisch eindringliches Vexierspiel um Identität, Träume und Projektionen, in dem das kalte Norwegen nur scheinbar mit der Neon-Großstadtkulisse Osakas kontrastiert. Denn in Wahrheit sind beide Frauen in beiden Welt einsam und in letzter Konsequenz auf sich allein gestellt. Ob sich Maria im Club den männlichen Besuchern gefügig macht oder die unsichere Ines ihren Freund auf dem Business-Trip als Anhängsel begleitet – gefangen in ihrer Identität bleiben beide.

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