Eine halbe Stunde lang kommt Steven Spielberg in Bridge of Spies â Der UnterhĂ€ndler ohne Musik aus. Erst dann setzen die ersten Takte der Vertonung von Thomas Newman ein. Es ist eine klassische Spannungssequenz bei Dunkelheit und strömenden Regen: Der von Tom Hanks gespielte Anwalt James B. Donovan, der einen russischen Spion verteidigt, fĂŒhlt sich verfolgt und sucht hinter einem Auto Zuflucht. Thomas Newman begleitet diese Szene, die in den spĂ€ten 50er-Jahren spielt, etwas anachronistisch mit Klavier und Elektronik. Doch auch sonst erscheint sie erstaunlich:  Zum einen natĂŒrlich dadurch, dass Thomas Newman die Musik komponiert hat und nicht Spielbergs langjĂ€hriger Partner John Williams. Zum anderen, weil der sonst eher fĂŒr groĂzĂŒgigen Musikeinsatz bekannte Starregisseur seinen Film vorher so lange ohne Töne auskommen lĂ€sst. Spielberg hat in einem Interview bekrĂ€ftigt, der spĂ€te Musikeinsatz sei bereits mit Williams verabredet gewesen, noch bevor Newman notgedrungen den krankheitsbedingt verhinderten Altmeister ersetzen musste. Sieht man den fertigen Film, bleibt die Motivation hinter dieser Entscheidung trotzdem etwas diffus. Zwar handelt es sich um eine einigermaĂen wichtige Szene, da Donovan in ihr erstmals mit den Folgen seines Handelns konfrontiert wird. Doch Newman vertont diesen Wendepunkt derart zurĂŒckhaltend, dass er es versĂ€umt, ihn mit einem auffĂ€lligen dramaturgischen Akzent zu unterstreichen.


Auch wenn das dem sehenswerten Historiendrama nicht schadet, ist der beschriebene Musikeinsatz dennoch symptomatisch fĂŒr eine Komposition, die immer wieder unglĂŒcklich und nicht unbedingt subtil agiert. Ein weiteres Beispiel dafĂŒr ist die Szene, in der Donovan vor Gericht eine flammende Rede fĂŒr den angeklagten Sowjet-Agenten Abel hĂ€lt: Sie wird von Newman mit einem Ausbruch feierlicher Americana begleitet. Die Streicher wogen auf, die Hörner tönen weihevoll. Das mag auf den ersten Blick naheliegen. SchlieĂlich inszeniert Spielberg mit Bridge of Spies ErzĂ€hlkino in bester uramerikanischer Tradition und tritt insbesondere fĂŒr die in der Verfassung verankerten Grundrechte ein. Andererseits richtet sich der Film aber auch sehr entschieden gegen einen ĂŒbereifrigen Nationalismus, der in Hass und Rassismus umschlĂ€gt. Er rĂŒckt die Menschen jenseits ihrer NationalitĂ€t als SpielbĂ€lle von Geheimdiensten und Politik in den Vordergrund. Newmans ungebrochener Streicherwohlklang aus US-amerikanischer Patriotismus-Brille wirkt in diesem Zusammenhang seltsam einseitig. Als wolle der Komponist auf Nummer sicher gehen, um den heimischen Zuschauer nicht mit unerwarteten Zwischentönen zu irritieren.
Kurios erscheint auch, dass der Schauplatz Berlin keine musikalische Entsprechung findet. Die Zeit des Mauerbaus 1961 wird in den Bildern des Kameramanns Janusz KamiĆski und dank exzellenter CGI-Tricks ĂŒberraschend lebendig eingefangen. Doch in Newmans gediegener Musik, die allein auf bewĂ€hrte Vertonungsschemata zurĂŒckgreift, ist davon wenig zu spĂŒren. Die Vertonung bleibt vollstĂ€ndig im Bereich des zu Erwartenden. Die einschmeichelnden Streichermelodien, die zarten Tupfer der HolzblĂ€ser, die nervös flirrenden Klangcollagen â das alles ist im Positiven wie im Negativen so typisch fĂŒr Thomas Newman, dass man schon fast das Attribut âmanieristischâ verwenden möchte.

Dass das Urteil am Ende dann doch gnĂ€diger ausfĂ€llt, liegt daran, dass der amerikanische Komponist nach mehreren Dekaden im GeschĂ€ft inzwischen doch ein versierter Routinier ist. Den ein oder anderen attraktiven melodischen Einfall schĂŒttelt Newman bei aller Kritik spielend aus dem Ărmel. Und so geht seine Musik auch nicht einfach qualitativ baden. Der Einsatz des Chores fĂŒr die Schattenmacht Russland (Hall of Trade Unions, Moscow, The Wall) erweist sich als ebenso plakativer wie effektvoller Einfall. Und auch die Zuspitzung des Konflikts in der zehnminĂŒtigen SchlĂŒsselsequenz auf der Glienicker BrĂŒcke ĂŒberzeugt: Wenn die subtil angelegte Spannungsuntermalung mit ihrer feinen motivischen Verzahnung schlieĂlich in kraftvollen MilitĂ€rrhythmen mĂŒndet, dann ist das packend. Ohnehin taugen insbesondere die letzten drei StĂŒcke der Filmmusik als eindrucksvolle Suite zum losgelösten Hören. Doch können diese starken Momente nicht darĂŒber hinwegtĂ€uschen, dass die gefĂ€llige Vertonung primĂ€r im Kontext des Filmes enttĂ€uscht. Das angesichts der filmischen Vorlage vorhandene Potenzial fĂŒr eine konzeptuell raffinierte Begleitung auf der Tonebene schöpft sie bestenfalls nur in AnsĂ€tzen aus.
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