In den letzten Jahren hörte man bei Kostümfilmen häufiger Regisseure und Komponisten davon sprechen, bei ihrer Arbeit bloß nicht in die Historienfalle tappen und zeitgenössische Musik imitieren zu wollen. Diese Aussage mag im ersten Augenblick verständlich erscheinen: Die meisten Filmemacher erzählen aus der Perspektive unserer Zeit für ein heutiges Publikum. Warum also nicht die musikalischen Mittel weniger auf die Epoche der Filmhandlung als auf den Erfahrungsschatz des Publikums zuschneiden? Und wie gut das zumindest in kommerzieller Hinsicht funktionieren kann, das haben Hollywood-Blockbuster wie Gladiator oder Fluch der Karibik unlängst bewiesen.
Dieses Erfolgsrezept hat dazu geführt, dass mittlerweile viele Filme auf der Tonspur sichere Distanz zu ihrem Sujet bewahren: Abstrahieren, ironisch brechen, verfremden – das eröffnet potentiell spannende Projektionsflächen. Dass zu viel Abstand aber auch in die falsche Richtung gehen kann, zeigt das Regiedebüt Die Gärtnerin von Versailles (A little Chaos) des leider viel zu jung verstorbenen Alan Rickman. Der Kostümfilm von 2016 schildert eine fiktive Romanze am Hofe von Louis XIV: Die freiheitsliebende Sabine De Barra (Kate Winslet) wird ausgewählt, einen Teil des neu entstehenden Schlossgartens von Versailles zu gestalten. Während der Arbeit verliebt sie sich in ihren Auftraggeber, den historisch verbürgten André Le Nôtre, dessen gefühlskalte Ehefrau fortan auf Rache sinnt. Rickman inszeniert die einfache Geschichte als luftige Hollywood-Fantasie, die mit der historischen Realität sehr frei umgeht. Die Figuren agieren und sprechen viel zu modern für die Zeit und das Drehbuch verklärt den Sonnenkönig sogar als zwar eigentümlichen, aber im Grunde doch herzensguten und sensiblen Herrscher. Und selbst im Detail leistet sich das Drehbuch so manchen Faux Pax: Dass sich De Barra zum Beispiel nach ihrem Vorstellungsgespräch am Hofe das teure Kleid bei der Gartenarbeit ruiniert, widerspricht nicht nur dem Wesen ihrer Figur, sondern ergibt für eine Frau, die vermutlich auf das Geld achten muss, kaum Sinn.
Wenig überraschend setzt sich der unverbindliche Umgang mit dem historischen Kontext auch auf der Musikebene fort. Newcomer Peter Gregson verzichtet völlig darauf, zeitgenössische Barock-Musik in seine Vertonung zu integrieren. Sein Zugang zum Film löst sich – und das war offenbar eine Vorgabe Rickmans – komplett von Raum und Zeit. Die aufkeimende Romanze hüllt er mittels sanfter Streicher-Harmonien und flüchtiger Klaviertupfer in warme transparente Klangfarben, die immer wieder an gegenwärtige Vertonungen von Thomas Newman erinnern. Und so könnte man sich die Musik in ihren zeitlosen Klangkollagen ohne Probleme auch in einem modernen Liebesfilm vorstellen. Selbst zur finalen Tanzszene, in der sich der Optimismus seinen Weg bahnt, erklingt nicht wie man erwarten könnte ein barocker Tanz, sondern stattdessen ein stetig anschwellendes Streicher-Ostinato, das an den Minimalismus von Michael Nyman denken lässt. Ein so loser Umgang mit dem historischen Kontext irritiert, passt aber gewissermaßen zu einem Film, der sich allenfalls vordergründig für die Zeit des Barocks interessiert und es sich stattdessen viel lieber in einem hübsch bebilderten Wohlfühlkino gemütlich macht.
Doch diese Oberflächlichkeit wird gleichzeitig zum zentralen Problem der Produktion, weil die zahlreichen Anachronismen aus der Filmerfahrung reißen, anstatt den Zuschauer in sie hineinzuziehen. Die mangelnde Liebe zum Detail, die sich auf fast allen Ebenen offenbart, weckt bei Die Gärtnerin von Versailles den Eindruck einer gefälligen, allzu wohlkalkulierten Hochglanz-Beliebigkeit. Gregsons Musik steuert dieser Wirkung nicht entgegen. Ganz im Gegenteil: Sie scheut die großen Gesten des Gefühlskinos, vermeidet thematische Akzente und will den Zuschauer auch nicht mit Imitaten von Barock-Musik langweilen. Sie erzählt nichts was die Bilder ohnehin nicht hergeben und möchte erst recht keine Aufmerksamkeit auf sich lenken. Und das ist für einen Film, der inhaltlich ohnehin eher schwachbrüstig daherkommt, enttäuschend wenig. Peter Gregson bemüht sich redlich, in seiner Musik ja nichts falsch zu machen. Doch leider macht er mit dieser übertriebenen Zurückhaltung gegenüber dem Film am Ende kaum etwas richtig.