„Zwischen Giallo und Haunted House“ – Schlaf

Der deutschsprachige Horrorfilm hat in den letzten Jahren eine bemerkenswerte Renaissance erfahren. Originelle Filme wie Ich Seh. Ich Seh, Der Bunker und Der Nachtmahr haben klassische Horror-Topos auf aufregende Art und Weise variiert und gerade durch ihre Unberechenbarkeit für Nervenkitzel im Kinosessel gesorgt. In eine ähnliche Kerbe versucht nun Schlaf von Michael Venus zu schlagen. Richtig „schlafen“ kann in seinem Film – und das ist ein guter Start für einen Horrorfilm – allerdings niemand. Erst recht nicht die Flugbegleiterin Marlene (Sandra Hüller aus Toni Erdmann), die nachts von heftigen paranoiden Albträumen geplagt wird. Während ihre Tochter Mona (Gro Swantje Kohlhof) noch an eine psychische Krankheit glaubt, kritzelt die Mutter bereits mit düsteren Traum-Motiven ganze Notizblöcke voll. Bei einem dieser Motive handelt es sich um ein abgelegenes Hotel. Als Marlene genau jenes Hotel in einem Bordmagazin entdeckt, fährt sie heimlich hin, um den Ursprung ihrer Träume zu ergründen. Tage später erhält Mona einen Anruf. Ihre Mutter habe das Hotelzimmer verwüstet und liege mit einem Stupor im Krankenhaus. Mona reist hinterher, kommt sogar im gleichen Hotel unter. Doch gleich mit der ersten Nacht wird auch sie von schrecklichen Albträumen heimgesucht.

Schlaf greift tief in die Spukkiste des Horrorkinos. Traum in Traum-Sequenzen, bei denen Realität und Halluzination verschwimmen, sollen nicht nur den Figuren, sondern auch dem Zuschauer den Boden unter den Füßen wegziehen. Dabei sind filmische Vorbilder wie Kubrick und Lynch offensichtlich, man denke nur an den in der Nebensaison menschenleeren Hotelkomplex, der mit seinen langen Fluren und Geister-Erscheinungen Erinnerungen an The Shining wachruft. In den Kamera-Einstellungen des Treppenhauses, der Orgien-Sequenz und den ikonografischen Traumbildern ist aber auch der italienische Giallo-Film der 70er Jahre äußerst präsent, wenngleich hier kein Mörder mit Messer und Lederhandschuhen zu fangen ist. Stattdessen mündet der Film, man ahnt das als Zuschauer leider früh, in einer eher vorhersehbaren „Haunted House“-Geschichte, die das eingangs noch Beunruhigende und Furchteinflößende vorschnell in allzu große Gewissheiten auflöst. Richtigen Schrecken verbreitet Schlaf abseits einer sich ins Gespenstige verwandelnden Essensszene nur selten. An den Darstellern liegt das aber nicht: Vor allem Sandra Hüller überzeugt als gequälte Persönlichkeit. Ihr sind die schlimmen Nächte und die psychische Belastung förmlich anzusehen. Leider wird das Potenzial ihrer Figur durch die umständliche Mutter-Tochter-Konstruktion im Drehbuch, die sie über weite Strecken ans Krankenhausbett fesselt, leichtfertig hergeschenkt.

Wie sehr die Stimmung des Filmes in der zweiten Hälfte kippt, zeigt auch die Etablierung eines ganz anderen Geistes aus der Vergangenheit: Der von Expansionsträumen umnebelte Hotelchef Otto trifft sich nämlich mit geneigten Mitgliedern der Gemeinde zur feuchtfröhlichen ewig-gestrigen Nazi-Kumpanei. Plötzlich treten da fratzenhaft die Abgründe der Provinzidylle zutage. Als Symbol dafür geistert immer wieder ein laut grunzendes Wildschwein durch die virulenten Albträume. Das erinnert an die surrealen Elemente in Twin Peaks, findet aber anders als im Vorbild zu keiner schlüssigen Balance zwischen überzeichnetem Heimat-Horror und dem eigentlichen Traumgeister-Plot. Vielleicht hätte eine charismatische Filmmusik helfen können, Zusammenhänge und Stilisierung herzustellen. Doch der Beitrag von Sebastian Damerius und Johannes Lehniger beschränkt sich auf das rein Funktionale und kann deshalb das inhaltliche Zerfasern nicht verhindern. Und so scheitert Michael Venus mit seinem Regiedebüt an einem Fehler, den viele junge Filmemacher begehen: Er will einfach zu viel.

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