„Treffer daneben“ – Jagdzeit

Unternehmen verlangen von ihren Mitarbeitern oft uneingeschränktes Vertrauen und volle Loyalität. Dass diese Werte im Zweifelsfall nur wenig wert sind, zeigt die Schweizerin Sabine Boss in ihrem auf wahren Begebenheiten basierendem Drama Jagdzeit. Im Mittelpunkt steht die Chefetage des großen Züricher Autozulieferers Walser, der im Fahrwasser des VW-Dieselskandals ins Schlingern geraten ist. Um den kriselnden Konzern zu retten, wird mit Hans-Werner Brockmann (Ulrich Tukur) ein sogenannter „Turnout-Manager“ als CEO eingesetzt. Einen Rettungsplan bringt der neue Boss gleich mit: Er will das Unternehmen mithilfe von Fremdinvestoren radikal umstrukturieren, ohne dabei Rücksicht auf die Firmentradition oder den Erhalt von Arbeitsplätzen zu nehmen. Für den langjährigen Finanzchef Alexander Maier (Stefan Kurt) ist das ein Affront, der gegen alles verstößt, woran er glaubt und wofür er steht. Er möchte lieber durch technische Innovation den Umschwung schaffen. Tatsächlich stehen die Chancen dafür gar nicht einmal schlecht, denn die Forschungsabteilung steht mit einem revolutionären Dieselmotor kurz vor dem Durchbruch. Doch davon will der empathielose Hardliner Brockmann wenig wissen. Ein intriganter Machtkampf zwischen den beiden ungleichen Männern um die Zukunft des Konzerns beginnt.

Trailer Jagdzeit

Sabine Boss konzentriert sich in ihren Film ganz auf das Duell der Topmanager, die ihre Intrigen und Psycho-Spielchen geschickt hinter der öffentlichen Fassade von Meetings und Pressekonferenzen verstecken. Doch dieser eingeschränkte Fokus wird zu einem Problem, weil er den inhaltlichen Konflikt als Triebfeder der Handlung zur unscharfen Kulisse degradiert. Anstatt die Mechanik eines Konzerns im Krisenmodus zu sezieren und die Fallhöhe für jeden einzelnen Angestellten spürbar zu machen, rückt das Drehbuch lieber das Privatleben Maiers in den Mittelpunkt. Und da stehen die Zeichen ebenfalls auf Sturm: Seine Frau hat ihn gerade verlassen und der jugendliche Sohn buhlt um die Aufmerksamkeit des Vaters. Dazu kommt die Einsamkeit: In langen Einstellungen hören wir Maier, wie er aus dem Hagakure, dem Ehrenkodex der Samurai (offenbar eine beliebte Manager-Bibel) zitiert oder – kuriose Metapher seines zahnlosen Handelns – auf einer eigenwilligen Videospielprojektion in seinem Keller virtuelle Wildschweine jagt. Das alles unterstreicht zwar die Isolation und den fatalen Druck, die auf dem Finanzchef lasten, nimmt aber erstaunlich viel Zeit ein. Und so mäandert die Handlung in bedeutungsschwangeren Szenen vor sich hin, die das Erzähltempo erlahmen lassen. Schlimmer wiegt aber, dass dadurch der Raum verloren geht, um das komplexe Spannungsfeld des Großkonzerns oder die psychologische Entwicklung der Hauptfiguren näher zu beleuchten.

Einer der wenigen starken Regie-Einfälle zeigt unterdessen, welches Potenzial Jagdzeit auf filmischer Ebene verschenkt: Die vielen Überstunden, der Stress und die schlaflosen Nächte haben bei Maier sichtbare Spuren hinterlassen: Der sonst so souveräne Manager wird von einem unangenehmen Tinnitus gepeinigt. Die Tonspur vermittelt diesen subjektiven Ausnahmezustand, in dem sie ebenfalls mit Störgeräuschen arbeitet und den originalen Umgebungston abschwächt, bis man ihn kaum noch hören kann. Wie spannend hätte es sein können, wenn Jagdzeit diese Richtung konsequent weiter gegangen wäre und mit audiovisuellen Mitteln mehr von den gesundheitlichen Konsequenzen, dem selbstzerstörerischen Wahn und dem fatalen Ehrgeiz gezeigt hätte, die die Situation eskalieren lassen. Doch der Film schreckt davor zurück, und das liegt vermutlich vor allem an der respektvollen Nähe zum realen Vorbild: Dem Drehbuch zugrunde liegt der Selbstmord von Pierre Wauthier im Jahr 2013: Der Versicherungsmanager hatte damals in seinem Abschiedsbrief dem Verwaltungsratspräsidenten Josef Ackermann und dem unmenschlichen Druck unter dessen Leitung die Schuld an seinem Freitod gegeben. Ackermann musste daraufhin von seinem Amt bei der Zurich Insurance Group zurücktreten – ein in den Medien viel beachteter Skandal. Auch wenn Sabine Boss eine davon unabhängige Geschichte an einem anderen Schauplatz und mit anderen Akteuren inszeniert, orientiert sie sich dennoch deutlich an den verbürgten Ereignissen. Die Fesseln, die sie sich damit auferlegt, lassen den Film allerdings seltsam behäbig erscheinen. Am Ende wirkt Jagdzeit deshalb genauso unnahbar wie die tristen Bürointerieurs des Großkonzerns, die als Kulisse der Handlung dienen. Vor allem mangelt es dem Drama aber an Präzision und kluger Beobachtungsgabe, um das tragische Dilemma der beiden Hauptfiguren wirkungsvoll auf den Zuschauer zu übertragen.

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