Nachlese Filmmusik-Symposium Potsdam (7.-9.7. 2011)

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Bereits zum sechsten Mal trafen Film- und Musikwissenschaftler sowie Interessierte aus der Praxis Anfang Juli zu einem dreitägigen Filmmusiksymposium zusammen, deren Gastgeber dieses Jahr die Hochschule für Film und Fernsehen (HFF) „Konrad Wolf“ in Potsdam-Babelsberg war. Zentraler Schwerpunkt der Tagung war das Thema „Dramaturgie“, das mehr oder minder lose als Leitgedanke der zahlreichen Vorträge diente. Filmmusik wird dabei als ein Bestandteil des kooperativen Kunstwerkes Film begriffen, der sich zwangsläufig in den Gesamtkontext der Inszenierung eingliedern muss. Wie dies in der Praxis allein nur auf auditiver Ebene aussehen kann, zeigte David Ziegler von der HHF gleich im ersten Vortrag, indem er die Ton- und Musikmischung anhand des fünfminütigen Animationsfilms Our Wonderful Nature (2007, Regie: Tomer Eshed) problematisierte: In dem Kurzfilm streiten zwei Wasserspitzmäuse um die Gunst eines Weibchens:

Die zugehörige Musik von Stefan Maria Schneider orientiert sich deutlich an der musikalischen Ästhetik des gegenwärtigen Hollywoodfilms, arbeitet mit überzeichneten Klischees, wie man sie aus der Media Ventures-Schule um Hans Zimmer kennt. Doch gleichzeitig konkurriert sie mit der Arbeit des Geräuschmachers und der des Sound-Designers. Dabei geht es um die Aufteilung des akustischen, vom menschlichen Ohr wahrnehmbaren Frequenzbereichs, insbesondere welche Spektren vom Sound Design und welche von der Musik belegt werden dürfen. Zwangsläufig schließt sich daran die Frage an, welche Geräusche bzw. Musikanteile im Falle sich überlagernder Tonspuren überhaupt zum Zuschauer vordringen können und überhaupt sollen.

Doch welche Funktionen erfüllt Filmmusik im visuellen Kontext und wie kann man diese Funktionsweisen wissenschaftlich systematisieren? Gleich mehrere Vorträge widmeten sich diesem Thema, etwa der von Stephan Wolff zum Thema „Parameter der Filmmusik“ oder Jurai Lexmans Beitrag zum „Bildlich-musikalischer Kontrapunkt“. Doch die interessanten Ansätze beider Wissenschaftler kranken daran, entweder durch eine eingeschränkte Perspektive (z.B. auf das klassische Hollywoodkino) zu sehr zu verallgemeinern oder aber (wie bei Lexman) sich in einer zwar ambitionierten, aber doch praxis-untauglichen Fallunterscheidung (Lexman unterscheidet 49(!) Arten des audiovisuellen Kontrapunkts) zu verlieren. So eindeutig wie hier suggeriert, lässt sich die Funktion von Teilen einer Filmmusik dann wohl doch nicht zuordnen.

Dass Filmmusik ein weites Feld ist, dies belegten weitere Vorträge der Tagung: Jürg Stenzel, Autor des Buches Jean-Luc Godard – musicien: Die Musik in den Filmen von Jean-Luc Godard warf das Schlaglicht auf die Musik von Louis Saguer (1907–1991) zum ersten Spielfilm Le Signe du Lion – Im Zeichen des Löwen (1959) von Éric Rohmer, der am Anfang der Nouvelle Vague entstand. Die musikalische Konzeption ist hier ungewöhnlich: Saguer komponierte für den Film seine einzige Filmmusik, eine stilistisch an Bartok anknüpfende Sonate für Solovioline, die Rohmer in verschiedenen Szenen des Filmes in Ausschnitten einsetzte. Diese Art der Filmmusikverwendung zeigt allein schon, wie schwer es ist, der Kunstform Filmmusik mit einer theoretischen Systematisierung gerecht zu werden. Filmmusik in all seinen Erscheinungsformen ist dafür schlichtweg ein zu unüberschaubarer Korpus voller Mischformen und Sonderfälle, der Generalisierungen in nur begrenztem Maße zulässt.

Wie Roswita Skare in ihren Ausführungen zum Stummfilm Nanook of the North von 1922 zeigte, gibt es zu diesem Film keine festgelegte Filmmusik. Während für die zeitgenössischen Aufführungen des Filmes noch sogenannte „cue sheets“ Anweisungen gaben, wie die Musik begleitet werden sollte, wurden anlässlich der in den Jahren 1947, 1976 und 1998 vorgenommene Restaurierungen jeweils komplett neue Musiken komponiert. Für die Tonfassung mit Erzähler arbeitete Rudolf Schramm, für die 76er-Fassung Stanley Silverman und bei der bislang letzten von 1998 zeichnete Timothy Brook verantwortlich. Alle drei Musiken orientieren sich in ihren atmosphärisch geprägten Stimmungsbildern allenfalls lose an den ursprünglichen, in den cue sheets festgehaltenen, Direktiven. Deshalb wird schnell deutlich: Die Zuschauer von 1922 haben einen anderen Film gesehen als wir heute. Kurioserweise werde, so Roswita Skare, in vielen Filmanalysen nicht einmal angegeben, auf welche Schnitt- und damit Musikfassung sich diese beziehen.

Eine gänzlich andere Perspektive auf das Genre Filmmusik wurde von Ulrich Wünschel, Dramaturg bei der Europäischen Filmphilharmonie in Berlin, eröffnet. Wünschel ist verantwortlich für die Erstellung von Programmen für Filmmusik-Konzerte, die meist ein junges Publikum in die Konzertsäle locken sollen. Die ist aber größtenteils verbunden mit dem ambitionierten Lehrauftrag, über die populären Gassenhauer wie Star Wars oder Herr der Ringe hinaus auch weniger bekannten, aber dennoch herausragenden Filmmusiken die Chance zu geben, aufgeführt zu werden. Diese Vorgehensweise unterscheidet sich maßgeblich von der rein kommerziellen Vermarktung von Filmmusik im Stile des Radiosenders Klassikradio, bei der Filmmusik als teurere Konzert-Events vergleichbar mit Event-Musicals inszeniert wird.

Auch die sechste Filmmusik-Tagung der Kieler Gesellschaft für Filmmusik-Forschung hat in hochinteressanten Vorträgen und intensiven Diskussionen dazu beigetragen, sich weiter dem schwierigen Themenkomplex Filmmusik anzunähern. Dass Filmmusik ein wesentlicher Bestandteil der Dramaturgie eines Filmes ist, der mit den anderen Gestaltungsmitteln eines Filmes im Kontext steht und Wechselwirkungen eingeht, wird in der Forschung dabei viel deutlicher herausgearbeitet, als es bei Filmmusik-Hörern der Fall ist. Fragestellungen zu der Rolle des Komponisten und das Zweitleben von Filmmusik abseits des Filmes z.B. auf Tonträger oder in Konzertaufführungen und welchen Einfluss diese Faktoren auf die Entstehung von Filmmusiken haben, spielen in der Forschung bislang nur eine geringe Rolle. Dies sollte und dürfte sich in der Zukunft aber noch ändern.

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