Illusion & Realität: The Matrix in Braunschweig

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Die rote Pille oder doch lieber die blaue? Illusion oder ernüchternde Realität? Wer in Hollywood (und nicht nur dort) hinter die Kulissen von Filmkomponisten  schaut, merkt schnell, dass kreative Freiheit doch eher selten ist. Manchmal gibt es sie aber trotzdem, die großen Ausnahmen von der Regel, die besonderen Einzelwerke, in denen mehr möglich ist als man im Normalfall von der Traumfabrik erwarten kann. The Matrix von 1999 ist ein solcher Sonderfall: Der Film der Wachowski-Geschwister (Sense8) hat über die Zeit Kultstatus erlangt und gehört längst zu den großen Klassikern des Science-Fiction Kinos der 90er Jahre. Und das nicht zuletzt wegen seiner herausragenden Filmmusik, die als eine der ersten konsequent postmodernen Vertonungen des US-Kinos gilt. Geschaffen hat sie Don Davis, der um die Jahrtausendwende eine Blütezeit erlebte, damals für alle drei Matrix-Filme und Jurassic Park III komponierte. Diese Tage sind allerdings lange her. Umso spannender also, dem Komponisten beim 31. Braunschweig International Film Festival hautnah zu begegnen, einmal als Dirigent seiner Matrix-Vertonung in einer Live-Projektion zum Auftakt und einmal im genauso aufschlussreichen wie nachdenklich stimmenden Master Class-Gespräch mit Matthias Hornschuh (ebenfalls Filmkomponist und zugleich bekannt als Gründer der Soundtrack Cologne).

Stadthalle mit „Grünstich“: The Matrix zum Festivalauftakt
(Foto: Mike Rumpf)

Die fulminante Aufführung mit dem Braunschweiger Staatsorchester in der randvollen Stadthalle  machte eines schnell klar: The Matrix hat auch 18 Jahre nach dem Kinostart wenig von seiner besonderen Faszinationskraft eingebüßt. Und das liegt nicht zuletzt an der herausfordernden, schweißtreibenden Musik. Es ist eine, die dem Orchester alles abverlangt. Sie erzeugt mit den Mitteln der musikalischen Moderne ein permanentes Gefühl des Unbehagens, der Anspannung und Nervosität, welches sich unmittelbar auf den Zuschauer überträgt. Diese Wirkung wurde durch den Live-Kontext, der die Vertonung noch prominenter hervortreten lässt als im originalen Film, auf erstaunliche Weise intensiviert. Und so hat sich die Schwerstarbeit der Musiker ausgezahlt. Denn auch wenn The Matrix schon ein paar Jahre auf dem Buckel hat, ist sein allegorischer und philosophischer Gehalt im Zeitalter des Internets relevanter denn je. Vor knapp zwanzig Jahren konnte man wohl nur erahnen, wie radikal das World Wide Web unsere Lebenswelt verändern würde. Und auch wenn wir heute nicht im wortwörtlichen Sinne in einer „Matrix“ leben: In mancher Hinsicht ist der virtuelle Lebensraum der filmischen Fiktion längst zur Realität geworden.

Ganz aus Fleisch und Blut ist die Musik von Don Davis, die retrospektiv wie ein singuläres Einzelwerk wirkt. Dies liegt vor allem daran, dass sie kaum Nachahmer fand. Selbst Davis erhielt bei den mit der heißen Nadel gestrickten Sequels nicht mehr die gleichen kreativen Freiheiten wie noch beim ersten Film ([2]) – Und das obwohl dieser ein bahnbrechender Erfolg war. Vielleicht lag das an den vielen Noten der Musik. Zu aufwändig und spieltechnisch anspruchsvoll ist die Kompositionsweise mit ihrer Schichtentechnik und radikalen Fusion moderner Spielarten von Atonalität, Polyrhythmik bis hin zu Minimalismus und Aleatorik. Zwei Minuten Musik musste Davis pro Tag für den Film schaffen. Nicht immer gelang das. Stücke wie „Unable to Speak“ sind so komplex, dass Davis allein für eine Minute manchmal drei Tage benötigte. „Ich dachte ich würde es nicht schaffen“, so Davis im Master-Class-Gespräch. Schlimmer wog aber, dass er für jeden Take eine Synthesizer-Demo anlegen sollte, was aber bei der Kompositionstechnik nicht immer ging. Einmal sei er deswegen fast gefeuert worden, so Davis. Schließlich konnte er die Produzenten aber doch davon überzeugen, dass nicht von jedem Stück ein solches „Mock-Up“ möglich war. Dennoch zeugt diese Anekdote ([5]) von den Schwierigkeiten bei der Entstehung der außergewöhnlichen Vertonung. Letztlich muss man wohl auch davon ausgehen, dass die Produzenten nicht im Ansatz begriffen haben, welchen speziellen und wichtigen Beitrag die Komposition zum Film der Wachowskis leistet.

von links nach rechts: Matthias Hornschuh, Don Davis und Festivalleiter Michael Aust
(Foto: Mike Rumpf)

Und so war die Matrix-Trilogie für Davis gewissermaßen Fluch und Segen zugleich. An den riesigen Erfolg  konnte er seither weder in kommerzieller noch in künstlerischer Hinsicht anknüpfen. Auf die Frage, warum seine Karriere in den Jahren danach derart ins Stocken geriet, wollte er in der Master Class nur mutmaßen ([1]): Er sei kein guter Geschäftsmann und das Filmbusiness habe sich rapide verändert. Ein Film wie The Matrix würde heute nicht mehr gemacht werden. In Zeiten der weltweiten Vermarktung sei die Handlung viel zu kompliziert für ein Projekt dieser Größenordnung. Und auch die Musik würde in dieser Form  nicht mehr akzeptiert werden. Er sei sehr glücklich, die Chance bekommen zu haben, dieses Projekt zu vertonen. Er erwarte aber  nicht, dass sich Vergleichbares noch einmal wiederholen würde. Ein wenig resigniert wirkte das schon: „Ich habe alles geschrieben, was ich kann. Um ehrlich zu sein: Wenn ich den weltweiten Kollaps der politischen Situation beobachte, erscheint mir das Schreiben von Musik wie eine unnötige Ablenkung“. In  diesem Punkt mag man  dem Komponisten vehement widersprechen, wie es Moderator Matthias Hornschuh dann auch tat. Doch zeigt die pessimistische Aussage dennoch,  mit welchem Engagement Davis sein Werk im gesellschaftspolitischen Kontext begreift. Und das passt kaum zu der vom kommerziellen Kalkül bestimmten Filmindustrie in Hollywood. Denn Künstler-Persönlichkeiten, die querdenken und ihren eigenen Kopf besitzen, die haben es in der Traumfabrik schon immer schwer gehabt.


[1] „I am not a closer. [..] I write music and I am not the kind of guy who walks into a room and explodes. And the film business was changing and was changing very quickly. A film like The Matrix would not be made today – period. A Film that had this kind of  production value and that kind of money – they just wouldn’t do it. It has too much dialogue. The story is too complicated. What the studios now want is something that is being playing in China and  in India. They don’t want something people are going to struggle to understand. It just would not happen. And an orchestral score like this wouldn’t be accepted either. There is a saying: You say it’s too hip for the room. I had to sell this score to those directors because they are not sophisticated enough musically to really understand what it is. So I am really very very lucky to have had the opportunity to do a project like this because it’s never gonna happen again.“

[2] „You are not free at all. The Matrix was an interesting situation because for the directors it was their first big film. And Warner Brothers did not understand the script and they didn’t know what they had. The directors didn’t have the power then that they had immediately after the release. I had way less freedom on Reloaded and Revolutions than I did on the first Matrix. It was true then but now movies are always tempted. […]“

[3] „I don’t think people understand the panic and the absolute terror that composers go through when they see the movie. You have to be (at) 2 minutes a day or you are screwed. I wrote 2 minutes of music per day. I discovered a long time ago that some music is better than no music. Sometimes you have to just do it. And you don’t have a lot of time to sit there and think „Should this be military?“.

[4] „I think I have written everything I came for to write. To be honest. As I observe what seems to me the worldwide collapse of the worldwide political situation, it seems like writing music is an unnecessary distraction.“

[5]  „They wanted me to demo every cue on synthesizers. Actually this is the first movie where I did that. In regard to this method I cannot demo this. It’s just not possible. They started to call my agent and tell him I am fired. (But finally) They accepted that you can’t demo that in a mock-up. [..] Actually when I did this cue I had to knock out at least 2 minutes a day. And this was about a one minute cue that took me 3 days and I thought I am not gonna make it.”

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