Keine schlechte Wahl: Der Wettbewerbspreis, der Heinrich, ging in diesem Jahr in Braunschweig an den französischen Spielfilm La Belle Vie – The Good Life (Kritik: siehe unten). Der Jugendpreis, die Kinema, wurde an das deutsche Drama Wir sind jung. Wir sind stark verliehen. Ohne Zweifel gehören beide zu den stärksten Beiträgen des Festival-Jahrgangs 2014. Doch zunächst zu einem Trip der ganz anderen Art:
Ruin (Kambodscha 2013)
Weit weg vom Herz der Finsternis in die Natur – das ist die filmische Reise des Roadmovies Ruin aus Kambodscha. Der als „impressionistische Fabel“ beworbene Film zeigt in hypnotischen Bildern, unterlegt mit einem düster-stilisierten Sounddesign, die Flucht eines jungen Paares aus der Metropole Phnom Phen. Die Liebenden lassen eine Welt zurück, in der sie Ausbeutung und sexuellen Missbrauch erlebt haben. Auf ihrem Weg dringen die beiden immer tiefer in den Dschungel vor.
Das von Michael Cody und Amiel Courtin-Wilson inszenierte Drama ist ein fiebrig-halluzinierendes Filmexperiment, das sich ähnlich wie Limbo gängigen Sehgewohnheiten verweigert. Die Regisseure arbeiten mit einer suggestiven Bildsprache, die in ihrer Langsamkeit, den bewusst eingesetzten Unschärfen und Nahaufnahmen einen geradezu meditativen Erzählrhythmus entfaltet. Trotz der offensichtlichen Verfremdungseffekte kommt Ruin seinen beiden Hauptfiguren und ihrer Lebensrealität sehr nahe. Das mag nicht zuletzt auch daran liegen, dass die atmosphärische Grundstimmung immer wieder von Szenen harscher Brutalität durchbrochen wird. Einfache, leicht konsumierbare Kost ist das gewiss nicht. Wer sich aber auf Ruin einlässt, wird mit einer schillernden filmischen Erfahrung belohnt.
La Belle Vie – The Good Life (Frankreich 2014):
Es ist ein ungewöhnliches Leben, welches der Familienvater Yves abgeschieden in den Pyrenäen mit seinen beiden Söhnen führt. Vor zehn Jahren hat er die Kinder entführt und seitdem befindet sich das Trio pausenlos auf der Flucht. Doch aus den Jungen sind inzwischen junge Erwachsene geworden, die das ständige Lügen und Verstecken satt sind. Das ist die Grundkonstellation des neuen Heinrich-Gewinners, bei dem der Franzose Jean Denizot Regie geführt hat.
Der Film lebt von der ungemein reizvollen Kameraarbeit, die in sonnendurchfluteten Einstellungen die Loire wie den Mississippi und die Berge wie die Rocky Mountains aussehen lässt. Zur lakonischen Western-Stimmung passt die launige folkloristische Filmmusik, die Erinnerungen an Ennio Morricones My Name is Nobody wachruft. Doch das Herz des Filmes ist die einfühlsame, warmherzige Erzählweise, die die Figuren zu keinem Zeitpunkt an falsche Sentimentalität verrät und glücklicherweise auch nicht jedes Detail auserzählt. So verweigert sich der Film einer moralischen Einordnung, indem er offen lässt, aus welchen Gründen der Vater die Kinder überhaupt entführt hat. Obwohl La Belle Vie ernste Themen berührt, gelingt es Jean Denizot dies mit entwaffnend leichter Hand zu tun. Ohne Zweifel: La Belle Vie ist eine kleine filmische Perle.