Es ist durchaus etwas los hier in Braunschweig: Ein paar ältere Damen aus meinem Hotel gehen heute zum Udo Jürgens-Konzert, nicht ohne vorher besorgt festzustellen: „Das ist ein ganz einsamer Mann, der hat ja keine Frau. Der sitzt einsam in seinem Hotel. Und den Managern ist das aber egal“. In den nächsten Tagen kommt dann auch noch der Esoteriker Erich von Däniken in die Stadt, um über die „Rückkehr der Götter“ zu sprechen. Nun denn. Wer sich angesichts dieser „Alternativen“ nicht die Augen von Isabella Rosselini wählt und sich in einem der Filmfestkinos einfindet, ist selbst schuld.
Verity´s Summer (Großbritannien 2012)
Der inoffizielle Startfilm des diesjährigen Filmfests war am frühen Abend das Familiendrama Verity’s Summer von Ben Crowe. Der Brite erzählt darin von der sechzehnjährigen Verity (Indea Barbe-Willson), die in den Sommerferien aus einem Internat an die Nordostküste Englands zu ihrer wohlsituierten Familie zurückkehrt. Doch ihre Eltern haben sich auseinandergelebt und vor allem die Vergangenheit des Vaters, der als Polizist eine Zeitlang während des Kriegs im Irak stationiert war, belastet den Hausfrieden. Als auch noch ein alter Armeefreund und Kriegsheimkehrer ertrunken am Strand gefunden wird, brechen alte Wunden auf.
Die klassische „Coming of Age“-Geschichte wird vom Regie-Debütanten Crowe mit unaufgeregter Langsamkeit inszeniert. Minutenlang sieht die Kamera den Hauptfiguren zu, wie sie am Strand spazieren oder stehen – die zerklüftete Küstenlandschaft als Spiegel ihres Innenlebens. Als Zuschauer kann man nur erahnen – und der Film lässt dies in letzter Konsequenz auch offen, was die Männer im Irak gesehen und getan haben. Geschickt gelingt es dem Drehbuch, die Auswirkungen des Politischen auf das Private zu verdeutlichen. „Woher sollen wir wissen, was er [der Vater im Irak] getan hat?“, fragt die Mutter einmal. Allein dieser Zweifel, das vielleicht auch „Nicht so genau wissen wollen“ führt zu einer Sprachlosigkeit, an der die Familie letztlich zu zerbrechen droht.
Die Hauptleidtragende, die Tochter, wird dabei am Ende zur Hoffnungsträgerin. „I am the change – Ich bin die Veränderung“. Was den Eltern misslang, soll die Tochter nun richten. Ob es sich Crowe mit dieser Botschaft nicht vielleicht doch ein wenig zu einfach macht, dass muss der Zuschauer wohl selbst entscheiden. Ein interessantes, sehenswertes Filmdrama mit guten Darstellern bleibt Verity`s Summer aber dennoch.
Trapped
Für nur 70.000 € produzierte der Schweizer Philippe Weibel aus eigenen Mitteln sein Erstlingswerk Trapped um die zwei befreundeten Studenten Greg und Mike, die sich auf der Suche nach Wölfen in die Wildnis begeben. Als Mike im Wald auf eine feenhafte Schönheit trifft und sich in diese verliebt, wird die Freundschaft auf eine Belastungsprobe gestellt, zumal gleichzeitig jemand bösartige Fallen ausgelegt hat…
Das geringe Budget sieht man Trapped in keiner Sekunde an, auch wenn man dem Schauplatz im Wald seine Abgelegenheit fern jeder Zivilisation vielleicht nicht ganz abnimmt. Zeitweilig ist es unterhaltsam, dem Film dabei zuzusehen, wie er mehrfach das Genre wechselt. So wird aus dem anfänglichen Buddy-Movie und Abenteuerfilm im Laufe der Handlung ein Mistery-Thriller mit Horrorelementen. Doch vor allem das letzte Drittel des Drehbuchs hat man in den vergangenen Jahren in ähnlichen Varianten zu oft gesehen, ob nun in Hell, Cold Prey oder ähnlichen Genrevertretern, die meist freilich mit expliziterer Gewaltdarstellung aufwarten.
So wirkt Trapped trotz seiner professionellen Machart und dem logistischen Geniestreich, einen solchen Film in nur wenigen Wochen zu stemmen, inhaltlich unentschlossen und ziellos. Für Horror-Fans ist Trapped vermutlich zu harmlos oder gar blutleer. Und die meisten anderen Kinogänger werden Konstruktion und Auflösung der Geschichte für eine Spur zu unglaubwürdig halten. Am Ende mangelt es dem Film hauptsächlich an frischen Drehbucheinfällen.
Blackbird
Auch das Jugenddrama Blackbird, das in der Reihe „Kanadisches Kino“ zu sehen ist, widmet sich einem nicht ganz neuen Thema, dem des Gefängnisfilms. Doch die Vorzeichen sind hier etwas anders: Im Mittelpunkt steht der sechzehnjährige Sean (Connor Jessup), der verdächtigt wird, ein Schulmassaker geplant zu haben, obwohl er diese Pläne niemals in die Tat umsetzen wollte. Was nun beginnt, ist eine mediale Hexenjagd, die die gesamte Gemeinde aufrührt. Sean wird verurteilt und in den Jugendknast gesteckt, wo ihn die Mitinsassen drangsalieren und das Leben zur Hölle machen.
Der Regisseurin Deanne Foley gelingt ein vor allem in Details (wie Musik oder Kleidung der Jugendlichen) sehr stimmiges Jugendporträt, das seine Handlung zeitgemäß in die Welt des Internets und der „Social Networks“ einbettet. Nachrichten und Videos verbreiten sich gleich einem Virus in der Schule. Die Nöte der Teenager bleiben in ihrem Kern angesichts dieser neuen Medien freilich aber dieselben. Und so muss auch Sean einen schmerzhaften Entwicklungsprozess durchlaufen, bevor er sich aus der Opferrolle befreit und für sich selbst einzustehen lernt. Auch wenn Blackbird diesen Wandel mitunter etwas zu plakativ (Hat sich Sean etwa nur dadurch verändert, dass er „normale“ Kleidung trägt oder sein Zimmer in Grün gestrichen hat?) schildert, ist Blackbird dennoch ein packender, sehenswerter Beitrag zum jungen kanadischen Kino. Dies liegt nicht zuletzt daran, dass der Film ganz nebenbei die gesellschaftspolitische Dimension der Handlung beleuchtet und sowohl Medien als auch Justiz in die Verantwortung nimmt.