Ein Mann der versteckten Töne –
Jan A.P. Kaczmarek im Porträt

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Die besten Filmmusiken eines Komponisten finden sich nicht immer nur in Begleitung der großen Kinohits, sondern oftmals auch bei kleinen Filmen, die aus dem einen oder anderen Grund nicht ihr Publikum gefunden haben. Einer der Komponisten, bei denen es sich lohnt, abseits seiner größten Erfolge genauer hinzuhören, ist der Pole Jan A.P. Kaczmarek. In seinem Werk finden sich zahlreiche kleine Perlen, die nur deshalb wenig bekannt sind, weil die zugrundeliegenden Filme keinen großen Bekanntheitsgrad besitzen.  Beispielsweise hat Kaczmarek  2007 für die TV-Verfilmung von Tolstois Krieg und Frieden eine seiner schönsten Melodien komponiert. Für den im ZDF ausgestrahlten Mehrteiler komponierte er damals ein wundervolles Hauptthema, das in unnachahmlicher Weise einen epischen Bogen von romantischen Gefühlen, adliger Noblesse bis hin zu den schicksalhaften Verwerfungen der Weltgeschichte schlägt. Doch so wie die gelungene Miniserie geriet auch die schwelgerische Vertonung nach der Fernsehausstrahlung schnell in Vergessenheit.

Etwas erfolgreicher – aber nur in Deutschland – war da schon das Drama Aimée & Jaguar (1999) um die Liebe zweier Frauen während des zweiten Weltkriegs. Hier schuf Kaczmarek als Hauptthema einen bittersüßen Tango, der die ungewöhnliche Romanze zwischen tänzerischem Spiel und Leidenschaft bis hin zur ihrer letztendlichen Tragik reizvoll musikalisch zusammenfasst.

Als Kaczmareks Eintrittskarte für Hollywood erwiesen sich in der zweiten Hälfte der 90er Jahre die Filmdramen von Agnieszka Holland (Total Eclipse, Washington Square, The 3rd Miracle). Die Zusammenarbeit mit der Regisseurin begann mit dem Kostümdrama Total Eclipse – Die Affäre von Rimbaud und Verlaine (1995), das den jungen Leonardo DiCaprio in einer frühen Rolle zeigt. Die kammermusikalische Vertonung Kaczmareks pendelt geschickt zwischen spröder Introvertiertheit und delikaten Charme. Und in Stücken wie „Trip to Paris“ darf man sich da bisweilen sogar an die Minimalismen eines Michael Nyman für das Kino Peter Greenaways erinnert fühlen.

Zu einem richtigen Geheimtipp unter Kaczmareks Kompositionen zählt unter Filmmusik-Liebhabern der Erotikthriller Bliss – Im Augenblick der Lust von 1997, für den Kaczmarek eine elegische Musik von großer Intensität geschrieben hat. Wie viele andere Nachahmer und Nachzügler von Paul Verhoevens Basic Instinct war aber auch diesem Film an den Kinokassen kein großer Erfolg beschieden. Und so ist es keine große Überraschung, dass auch diese Musik international nur wenig Beachtung fand.

Ähnlich erging es Kaczmarek auch mit seinem für ihn ungewöhnlichen Ausflug in die Gefilde des Genrekinos mit dem völlig zu Recht gefloppten Horrorfilm Lost Souls – Verlorene Seelen (2000). Darin spielt eine blasse Winona Ryder eine gläubige Katholikin, die Exorzismen begleitet und sich mit dem Teufel höchstpersönlich anlegt. So misslungen der Film auch sein mag, so bemerkenswert ist die unheilschwangere Vertonung: Wer die düsteren Klavier-Variationen auf das Leitthema für Maya hört, wird sofort an berühmte polnische Kollegen wie Wojciech Kilar und Zbigniew Preisner denken, mit denen Kaczmarek nicht nur hier einen Hang zur slawischen Melancholie eint.

Dass er aber auch anders kann als düster-romantisch – dafür steht der bislang größte Erfolg in Kaczmareks Karriere: die beschwingt-heitere Musik zu Lasse Hallstroems Filmbiographie Wenn Träume fliegen lernen – Finding Neverland, für die er im Frühjahr 2005 mit dem Oscar ausgezeichnet wurde. Um ein Haar wäre es allerdings nicht zu diesem Triumph gekommen: Die Produzenten hatten nämlich nach Verpflichtung des Polen kalte Füße bekommen, hielten seine Tonsprache für die Tragikomödie schlichtweg zu düster. Mit einer eigens aufgenommenen Demo konnte Kaczmarek die Geldgeber am Ende doch noch von sich überzeugen. Der Rest ist Filmmusik-Geschichte.

Seit seinem endgültigen Durchbruch ist es über die Jahre hinweg wieder ein wenig stiller um Kaczmarek geworden. Von Hollywood vereinnahmen lassen hat er sich nämlich nicht. Dafür wäre seine Tonsprache in ihrer mitunter fast spröden Zurückhaltung vermutlich ohnehin viel zu eigentümlich. Und so bleibt der Pole auch weiterhin als Grenzgänger zwischen Europa und USA ein Fall für spannende filmmusikalische Entdeckungsreisen. Wie wäre es zum Beispiel mit der lyrischen Filmmusik für das star-besetzte Filmdrama Spuren eines Lebens – Evening?


Jan A.P Kaczmarek ist Ehrengast des Braunschweig International Filmfestival vom 17. bis 22. November 2017. Eine Retrospektive zeigt sechs Filme mit seiner Musik. In einem Gesprächskonzert wird er am Donnerstag, den 19. Oktober Matthias Hornschuh Frage und Antwort stehen.

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