Tag 5: Von Baronen & Lichtdieben

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Wenn man mehrere Filme am Tag sieht, schwindet naturgemäß irgendwann ein wenig die Bereitschaft, tief in die Handlung einzutauchen. Doch es erstaunt, wie prägnant die Eindrücke der einzelnen Produktionen auch Tage und viele Filme später im Gedächtnis haften bleiben. So auch die vom 5. Tag beim Internationalen Braunschweiger Filmfest:

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Der Dieb des Lichts (Kirgisistan 2010)

Wie so viele arme Länder sieht sich auch Kirgisistan dem Konflikt zwischen Tradition und hereinbrechender Moderne gegenüber. In seinem dritten, in einem kleinen kirgisischen Dorf angesiedelten, Spielfilm Der Dieb des Lichts – Svet-Ake stellt Aktan Arym Kubat den einfachen Elektriker Svet-Ake, von den Bewohnern schlicht „Lichtmann“ genannt, in den Mittelpunkt der Geschichte. Dieser hat große Visionen für die Zukunft, ein Windpark soll die astronomischen Strompreise verringern. Doch andererseits ist er auch der Tradition verhaftet, hadert etwa damit, dass seine Frau ihm bislang nur Töchter geboren hat. Um seinen Traum von billiger Energie verwirklichen zu können, macht er mit einem halbseidenen Geschäftsmann gemeinsame Sache. Doch das Projekt ist zum Scheitern verurteilt.
Aktan Arym Kubat, der auch die Hauptrolle spielt, erzeugt mit seiner einfühlsamen Inszenierung eine ausgewogene Balance zwischen der poetischen Bebilderung des einfaches Dorflebens und der harten Lebensrealität der Bewohner. Das erinnert vor allem im letzten Drittel an den chinesischen Spielfilm Tuyas Hochzeit (2006), wobei Der Dieb des Lichts den ganz harten Realismus scheut. Dies mindert die Wirkung aber nicht. Allein das Ende kommt etwas zu schnell, passt in seiner Abruptheit nicht zum ruhigen Erzählfluss des übrigen Filmes.

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The Barons (Belgien/Frankreich 2010)

Was ist ein Baron? Nun – Jeder Mensch wurde mit der Geburt ein gewisses Kontingent an Schritten zugeteilt. Ist es aufgebracht, stirbt man. Nach diesem Motto lebt eine Gruppe junger Araber in einem Brüsseler Stadtviertel. Sie nennen sich „Die Barone“ und verbringen ihre Zeit damit, rumzuhängen oder mit dem von acht Personen finanzierten Auto Versicherungsschäden zu provozieren. Nur einer der „Bande“ bricht aus dieser Welt aus: Hassan steht vor der Wahl, wie sein Vater Busfahrer zu werden oder aber eine Karriere als Bühnenkomiker anzustreben.
Nabal Ben Yadir erzählt die autobiographische Geschichte mit vielen Humor und Ironie. Immer wieder glänzt „Les Barons“ mit originellen Drehbucheinfällen, in denen zum Beispiel Traumsequenzen irrwitzig in die Handlung integriert werden. Auch wenn nicht jeder Gag zündet und die Inszenierung mitunter etwas unfokussiert erscheint: Les Barons ist eine sympathische Komödie, die die Probleme der dritten Einwanderergeneration zwar mit ironischer Distanz schildert, sie aber nicht verharmlost.

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Protektor (Tschechien 2009)

Prag während der deutschen Besatzung im zweiten Weltkrieg. Der tschechische Radiomoderator Emil Vrbata und die erfolgreiche jüdische Schauspielerin Hana müssen sich, um zu überleben, mit dem nationalsozialistischen Regime arrangieren. Vrbata steigt zum Propaganda-Sprecher des 3. Reichs auf, die Karriere Hanas ist vorüber. Vrbata versucht seine Frau durch seinen Status zu schützen. Ein Unterfangen, das die Ehe auf eine große Belastungsprobe stellt. Während er sich bei gesellschaftlichen Anlässen vergnügt, muss sie alleine in der Wohnung bleiben. Schnell entsteht bei Hana großes Misstrauen, ob ihr Mann nicht inzwischen zum Feind übergelaufen ist.

Marek Najbrt verwendet in seinem zweiten Spielfilm eine expressionistische Bildsprache, die Stilismen aus dem Film Noir und der Stummfilmzeit aufgreift. Daraus entsteht eine eigenwillige Inszenierung, die mit den mittlerweile abgenutzten Bildern vieler Filme über den zweiten Weltkrieg konsequent bricht. Der Verfremdungseffekt führt gleichzeitig aber auch zu einer seltsamen Distanz zum Film, so dass der Zuschauer mehr die Rolle eines reflektierenden Beobachters einnimmt, anstatt in die Handlung einzutauchen. Mit diesem Kunststück gelingt es Marek Najbrt auf brillante Art und Weise, einen neuen Blick auf die vertraute Geschichte zu verwerfen. Protektor ist nicht nur ein Film über die Mechanismen des Überlebens in Unzeiten, sondern zugleich auch ein vielschichtiges Ehedrama. Auf beiden Ebenen beeindruckt Protektor gleichermaßen. Zumindest formal gehört Protektor zu den herausragenden Produktionen des diesjährigen Braunschweiger Filmfests.