„Steckengeblieben“ – Crystal Swan

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Mit ihrer blauen Perücke könnte Velya ein hipper DJ in einem der angesagten Clubs in New York oder Chicago sein. Für die junge Weißrussin aus Minsk ist das aber ganz weit weg, denn die ersehnte Ausreise aus ihrem Land liefe nur über ein Visum, für das sie aber eine feste Anstellung vorweisen müsste. Doch genau die besitzt sie nicht. Also besorgt sie sich auf dem Schwarzmarkt eine gefälschte Bescheinigung über einen Manager-Posten und reicht den Antrag bei den Behörden ein. Doch die Sache bekommt einen Haken: Der schusselige Fälscher hat sich aus Versehen einen Zahlendreher erlaubt und eine falsche Telefonnummer auf dem Formular eingetragen. Aber selbst für dieses Problem hat die clevere Velya eine Lösung parat: Sie findet heraus, dass der Inhaber des Anschlusses irgendwo auf dem Land wohnt und ermittelt durch Bestechung die Adresse. Kurzerhand fährt sie hin und gerät in dem abgelegenen Dorf an eine ungehobelte Familie, die sich so gar nicht für ihr Anliegen interessiert und selbst inmitten von Hochzeitsvorbereitungen steckt. Und der gesuchte Telefonanschluss ist schon lange tot, weil niemand die Rechnung bezahlen wollte.


Die in Weißrussland geborene Darya Zhuk erzählt in ihrem Filmdebüt Crystal Swan einmal mehr die Geschichte eines versuchten Aufbruchs. Doch in Minsk Mitte der 90er Jahre muss der Wunsch, nach Amerika auszureisen, zwangsläufig wie ein verzweifelter Griff nach den Sternen anmuten. Die Generation der Erwachsenen begegnet dem Freiheitsdrang der Jugend ohnehin mit großem Unverständnis. Man verhungere ja nicht, reflektiert die esoterische Mutter einmal. Damit müsse man schon zufrieden sein. Bloß kein Aufbegehren, der Staat werde schon für alle sorgen. Es ist eine beklemmende ideologische Enge, die die freiheitsliebende Velya umgibt. Das eigenwillige Filmformat von 4:3 spiegelt das geschickt und wirkt dabei selbst wie ein technisches Relikt von gestern.

Doch auch wenn der Wunsch des Ausbruchs Triebfeder der Handlung ist, zeichnet Zhuk vor allem ein klug beobachtetes Porträt einer Gesellschaft, in der es weder vor noch zurückgibt und die alle Menschen – ob sie wollen oder nicht – in einer Art lähmender Paralyse gefangen hält. Und so führt die Reise aufs Land Velya immer weiter von ihrem eigentlichen Ziel weg. Es sind dabei die kleinen Szenen, die fesseln: Der behördliche Irrsinn, wenn Velya die Telefonrechnung begleichen möchte. Oder ihr drolliger Versuch, einen Mantel mit angenähtem Armani-Etikett zu verkaufen. Mit erstaunlichem Elan und originellen Tricksereien gelingt es ihr dennoch immer wieder, den Kopf über Wasser zu halten – allen Widrigkeiten zum Trotz.

Die vielen Details kommen nicht von ungefähr. Das Drehbuch ihres Filmes basiere auf wahren Begebenheiten, verriet die Regisseurin im Filmgespräch. Einer Freundin von ihr sei Ähnliches passiert. Sie sei für den gefälschten Visums-Antrag schließlich auch aufs Land gereist. Nur das Ende der Geschichte sei fiktional, weil sie nicht mehr miterlebt habe, wie die Sache ausgegangen sei. Leider erweist sich genau das Füllen dieser Leerstelle als zentrale Schwäche des Filmes. Dass sich die Handlung über eine Vergewaltigung zuspitzt, ist wenig schlüssig inszeniert und weist eher halbherzig auf die Gender-Problematik des Landes hin. Diese inhaltliche Überladung hätte das anrührende Drama gar nicht nötig gehabt und bricht auf unglückliche Weise mit dem bittersüßen Humor, der Crystal Swan ansonsten so sehenswert macht.

(Reihe: Wettbewerb)



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