Babel – Gustavo Santaolalla

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Richtet man sich nach den Reaktionen in diversen Filmmusik-Foren, ist Gustavo Santaolalla einer der meistgehassten Filmmusikkomponisten dieser Tage. Was hat der Mann getan, um eine solche Geringschätzung zu provozieren? Nicht mehr und nicht weniger, als zwei Musik-Oscars in Folge zu gewinnen. Wie verwerflich aber auch. Doch Ironie beiseite. Tatsächlich sind Santaolallas Oscar-prämierte Vertonungen zu Brokeback Mountain (2005) und nun Babel hauptsächlich atmosphärisch angelegt, sparsam instrumentiert und recht simpel aufgebaut. Sie waren unter den fünf nominierten Partituren beider Siegerjahre jeweils mit deutlichem Abstand die kompositorisch schwächsten. Doch die Fans, die zynisch und zum Teil auch mit unverhältnismäßiger Polemik ihren Unmut über den Argentinier äußerten, haben offenbar eines nicht verstanden: Dass Santaolalla in beiden Filmen bei aller Schlichtheit eine zurückhaltende, nuancierte und darum effektvolle Begleitung gelungen ist. Mal abgesehen davon, dass nicht jede Vertonung als autonomes Werk abseits der Bilder funktioniert oder funktionieren muss, hat Santaolalla zunächst einmal eine filmdienliche, funktionale und dem Film vollkommen angemessene Vertonung geschaffen. Er hat also schlichtweg seine Arbeit gemacht. Dies zu verteufeln, erscheint geradezu lächerlich und verrät schließlich mehr über manchen Fan als über die diskussionswürdige Entscheidung der Academy selber.

Bei aller Hysterie um den zweiten Oscar-Gewinn droht die eigentliche Babel-Komposition zur Nebensache zu verkommen oder voreilig als Gitarren-Musik abgestempelt zu werden. Dabei ist bereits diese pauschale Behauptung falsch. Zwar stimmt, dass viele Stücke der Originalmusik von ruhigen Gitarren-Akkorden leben, die hier und da ähnlich wie bei Brokeback Mountain um synthetische Klangflächen verstärkt werden. Doch trägt Santaolalla dem Kolorit der drei wesentlichen Schauplätze von Babel (Marokko, Mexiko und Japan) durchaus Rechnung. So erklingt zum Beispiel in den Marokko-Szenen mit dem Oud ein persisches Streichinstrument. An der Grenze Mexikos findet erwartungsgemäß die Flamenco-Gitarre Verwendung. Und in der Japan-Episode bemüht Santaolalla synthetische Klangflächen, um die Anonymität der Großstadt zu unterstreichen. Verstärkung erhält er dabei von verschiedenen älteren Stücken Ryuichi Sakamotos. Dieser trägt mit „Bibo no Aozora“ sogar den schönsten melodischen Einfall zur Babel-Musik bei. Das klangschöne Thema dient als Seelenspiegel für die einsame japanische Teenagerin und erklingt im siebenminütigen Schlussstück reizvoll im Zusammenspiel von Klavier und Streichern. Doch auch das blasse, monoton-flirrende Ambient-Instrumental „only love can conquer hate“ aus Sakamotos Chasm-Album von 2004 und der eingängige Popsong „World Citizen“ sind vertreten.

Mit dem zumeist lakonisch und melancholisch wirkenden Spiel der Instrumente gelingt Santaolalla eine behutsame Annäherung an die Figuren des Filmes, wobei die wiederkehrende Reduktion auf ein Instrument zweifellos auch als musikalische Metapher für deren Einsamkeit und Verlorenheit interpretiert werden kann. Dieses simple, aber durchdachte Vertonungskonzept funktioniert – wie oben angedeutet – natürlich in erster Linie im Zusammenspiel mit den Bildern. Dennoch – und das ist das erstaunlich – gelingt es der Originalmusik auch ohne Film, recht überzeugend, die nachdenkliche, spröde Stimmung zu evozieren, die Iñárritus Drama auszeichnet. Das funktioniert zwar nicht durchgängig über die eigentliche, rund 40 Minuten umfassende Originalmusik (also gar nicht so wenig, wie von Manchem unterstellt), kann sich aber in aller Einfachheit durchaus hören lassen.

Die Doppel-CD mit der Filmmusik verbindet die Originalkomposition mit einem umfangreichen Song-Programm, wobei einige Lieder – mal wieder – nur vom Film inspiriert wurden. Zwangsläufig finden sich auch hier die drei Schauplätze der Handlung repräsentiert: Disco-Pop aus Japan, Tänze und Schlager aus Mexiko und traditionelle Folklore aus Marokko. Es ist eine abwechslungsreiche, unterhaltsame Mischung, die durch die abrupten Stilwechsel und das wechselhafte Niveau allerdings mitunter arg zerfahren wirkt. Doch diese harten Brüche bilden das filmische Konzept (die häufigen Ortswechsel) ab – wenngleich diese Konzeption das Höralbum mitunter schwer goutierbar macht.

Schnell wird deutlich: Die Filmmusik zu Babel entzieht sich allein stilistisch jedem Vergleich mit der üblichen Kinosinfonik, wie man sie normalerweise aus Hollywood kennt. Der Wirkung des Filmes wäre zweifellos auch keine traditionelle Orchesterpartitur zuträglich gewesen. Umso mehr hinkt zwangsläufig der Vergleich mit der Oscar-nominierten Konkurrenz 2006. Durch die Vielzahl der beteiligten Kräfte und den zum Teil fließenden Übergang zwischen Originalmusik und Stücken anderer Komponisten ist eine abschließende Bewertung und Einordnung beinahe unmöglich. Ob man Babel für preiswürdig hält, hängt deshalb entscheidend von der Frage ab, ob man von einer Vertonung erwartet, dass sie zugleich auch als autonomes Werk besteht, um eine Auszeichnung zu verdienen. Der Wirbel um Gustavo Santaolallas erneuten Oscar-Triumph ist indessen vor allem viel Lärm um Nichts. Ein Wirbel, der weder der Musik noch dem Komponisten wirklich gerecht wird.