„Vom Reiz des Unausgesprochenen“ – Die Schneiderin der Träume

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Weniger ist im Kino oftmals mehr. Das gilt im positiven Sinne auch für den indischen Liebesfilm Sir, der im deutschen Verleihtitel etwas unpassend zu Die Schneiderin der Träume verkitscht wurde.  Hier entwickelt sich eine unwahrscheinliche Romanze allein durch flüchtige Blicke, zarte Gesten und unausgesprochene Worte. Denn das, was sich da zwischen der aus einfachen Verhältnissen stammenden Hausangestellten Ratna und dem Architekten Ashwin in einem Appartement der Metropole Mumbai anbahnt, ist gesellschaftlich nicht akzeptiert und würde – käme es heraus – mit Ächtung bestraft.

Eigentlich müsste die früh verwitwete Ratna in ihrem Heimatdorf bei der Familie ihres verstorbenen Mannes leben. Doch die könnte es sich gar nicht leisten, die junge Frau bei sich zu behalten. Deshalb ist sie nach Mumbai gegangen und versucht nun, mit dem bei Ashwin verdienten Geld zumindest ihrer jüngeren Schwestern ein Studium und damit ein besseres Leben zu ermöglichen. Insgeheim strebt sie aber eine ganz andere Karriere an: Sie würde gerne als Mode-Designerin arbeiten, ein Traum, den sie neben ihrer Arbeit hartnäckig verfolgt. Der liberale Ashwin könnte sich in seinem Wohlstand dagegen glücklich schätzen, ist es aber nicht. Denn seine arrangierte Hochzeit ist geplatzt und nun sitzt er verzweifelt inmitten des luxuriösen Apartments mit den unausgepackt in der Ecke liegenden Geschenken. Der einzige Mensch, der ihn versteht, ist das Dienstmädchen, welches eigentlich dem Ehepaar hätte dienen sollen. Zu ihr fühlt er sich seltsam hingezogen.

Tilotama Shome spielt Ratna wunderbar: Wie sie mit großer Zurückhaltung und tugendhaften Fleiß Ashwin bedient und – von ihm dazu ermuntert – das Nähen lernt, langsam aufblüht und nur so vor innerer Freude glüht: Das berührt, nicht zuletzt auch weil das Drehbuch ihre Figur trotz der Armut jenseits typischer Opferstereotypen anlegt. Letztendlich hat sie Ashwin sogar voraus, dass sie sich traut, ihren Traum zu leben, während er in seinem Hadern gefangen scheint. Die Kamera unterstützt diesen Kontrast geschickt, konterkariert immer wieder nüchterne Einstellungen des leeren Appartements mit den lebendigen Indien-Bildern der Außenwelt. Ratna durchbricht allein durch ihre Anwesenheit die Isolation Ashwins. Und damit wandelt sich auch die Funktion der leblosen Wohnung zu einem besonderen Rückzugsraum, in dem sich die zarte Romanze überhaupt erst entfalten kann.

Rohena Gera gelingt in ihrem Debütfilm das Kunststück einer intimen, unter der Oberfläche brodelnden Liebesgeschichte, die sie ohne Klischees in den schwierigen Kontext der indischen Gesellschaft einbettet. Beide Hauptfiguren wissen sehr wohl, welche weitreichenden Konsequenzen ihre kasten-übergreifende Beziehung hätte und agieren entsprechend zögerlich. Der Weg zu einem Happy End ist verstellt und setzte zudem voraus, dass sich beide auf Augenhöhe begegnen. Und davon sind Ratna und Ashwin dann doch noch ein ganzes Stück entfernt. Die großen Gesten einer Lovestory „made in Hollywood“ sucht man in Die Schneiderin der Träume ohnehin vergebens. Selbst der ein oder andere Bollywood-Song wirkt nicht aufgesetzt, sondern begleitet mitreißend Ratnas Streben nach ihrem persönlichen Glück. Ihr dabei zusehen zu dürfen, das ist pure Kinomagie.

(Reihe: Wettbewerb)



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