Trauma der Kindheit

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The Childhood of a Leader (USA 2016)

Die Ouvertürenmusik der fiktiven Filmbiografie The Childhood of a Leader bohrt sich mit aggressiven Streicherostinati, dem dissonanten Spiel der Violinen –  schrillen Sirenen gleich – geradezu unbarmherzig in die Ohren. Es ist der Glücksfall einer Filmmusik, die sich aufdrängt, gleich zu Beginn ein starkes Statement setzt, so fatalistisch es auch sein mag. Geschrieben hat die Vertonung Scott Walker, ein britischer Sänger und Musiker, der in den 60er-Jahren mit den Walker Brothers zu Ruhm gelangte, seitdem aber solo unterwegs ist. Der Großteil der Musik ist zu Beginn und zum Ende des Filmes zu hören und bildet so eine beeindruckende ästhetische Klammer für die fiktive Filmbiografie von Brady Corbet.

Der erzählt in seinem ambitionierten Debütfilm – wie der Titel suggeriert – von der Kindheit eines künftigen Despoten – historisch kurz nach Ende des Ersten Weltkriegs angesiedelt. Ein Junge namens Prescott wächst als Sohn eines amerikanischen Diplomatenehepaares auf. Der Vater ist daran beteiligt, die Versailler Verträge mitzugestalten. Derweil entwickelt das Kind erste Verhaltensauffälligkeiten – begünstigt durch eine antiautoritäre wie herzlose Erziehung der Eltern. Die freudlose Grundstimmung unterstreicht Corbets Film mit fahlen, beinahe monochromen Kameraeinstellungen – eher notdürftig ausgeleuchtet. Es gibt keinen Hoffnungsschimmer. Der Ausgang der Handlung ist längst bekannt.


Die wahre Identität des späteren faschistischen Führers lüftet Corbet nicht (ohnehin handelt es sich wohl um eine fiktive Figur, die allenfalls lose auf historischen Vorbildern basiert). Erst im letzten Akt erfahren wir etwas mehr über den inzwischen erwachsen gewordenen Prescott. Wieder ist es eine albtraumhaft-hysterische Sequenz: Die taumelnde Kamerafahrt wird von Walkers rastlos-grimmiger Musik begleitet, die einmal mehr die Oberhand gewinnt. Der Zuschauer wird in einen von Chaos und Wahnsinn erfüllten Strudel gezogen, der kein Entrinnen zulässt.

Ohne Frage ist The Childhood of a Leader, dessen Drehbuch lose auf der gleichnamigen Kurzgeschichte von Jean-Paul Sartre basiert, schwer verdauliche filmische Kost. Der streng strukturierte Film lässt keinen Hoffnungsschimmer zu, keine Erlösung oder Katharsis. Man kann ihn in seiner Ambition für prätentiös halten oder vielleicht auch für aufregend anders. Loslassen tut er einen so schnell jedenfalls nicht.

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The Land of the Enlightened (Niederlande 2016)

Das Grauen: Als Francis Ford Coppola in den späten 70er-Jahren Apocalypse Now realisierte, war es nicht nur vor, sondern auch hinter der Kamera eine sprichwörtliche Reise in das Herz der Finsternis (Joseph Conrads Roman diente dem Film seinerzeit als Vorbild).  Der Regisseur Pieter-Jan De Pue gab an, es sei ihm bei den Dreharbeiten zu seinem in Afghanistan spielenden Film The Land of the Enlightened – Land der Erleuchteten ähnlich ergangen. Der schwierige Dreh sei ein logistischer Albtraum gewesen und mehr als einmal sei man im Gefängnis gelandet. Sein Film zeigt in einer Mischung aus dokumentarischen und gestellten Szenen die Auswirkungen des mittlerweile jahrzehntelang andauernden Kriegszustandes. Im Mittelpunkt steht eine Karawane von Jungen, die ohne Eltern aufwachsen müssen und den harten Alltag im vom Krieg schwer gebeutelten Land auf ihre ganz eigene Weise bewältigen.

Die mit Kalaschnikows bewaffneten Kinder, die alle kaum älter als fünfzehn sein mögen, haben sich perfekt ihrer rauen Umgebung angepasst: Sie betreiben Handel mit Lapislazuli-Steinen und Opium. Waren werden dabei mit Patronenhülsen aufgewogen. Allein der Zusammenhalt der Gemeinschaft sichert das Überleben. Land of the Enlightened zeigt ein so perfides wie erschreckendes System, aus dem Wahnsinn des Krieges geboren. Nicht weniger seltsam muten aber die vermeintlichen „westlichen Befreier“ an, die in einem Außenposten den unsichtbaren Feind am Hindukusch bombardieren. De Pues herausragender Film kleidet den Irrsinn des Krieges in eine poetische Bildersprache mit zum Teil atemberaubenden Kamera-Einstellungen, die der Schönheit des Landes die bittere Realität der Kinder gegenüberstellt. Auf dem Off erzählt der Führer der Karawane von seinen Träumen: Er möchte eine Prinzessin heiraten und eines Tages mit ihr in einem Palast in Kabul leben.