The Best of Ennio Morricone in Kiel

Veröffentlicht von

Gute Filmmusik ist selten geworden. Wie selten, das erkennt man nicht zuletzt daran, wie wenige erinnerungswürdige Melodien in den letzten Jahren für das Kino entstanden sind. Und wer sich ein Konzert wie das Anfang 2018 durch Deutschland und Dänemark tourende „The Best Of Ennio Morricone“-Programm anhört, dem wird schmerzlich bewusst, welche ikonografische und eigenwillige Filmmusiken abhandengekommen sind und wie wenig von vergleichbarem Charme in der heutigen Kinolandschaft zu finden ist. Der nostalgische Blick zurück zeigt, was Filmmusik auch sein kann, wie sie die Filme, für die sie geschrieben wurde, transzendiert und sich dadurch bis heute unauslöschlich in das Gedächtnis der Menschen eingebrannt hat.

Dies zu zeigen, ist aller Ehren wert. Aber die Konzertreise von Marco Seco, der mit Orchester & Chor der Milano Festival Opera in zwanzig ausgewählten Städten gastierte, folgt natürlich auch einem kommerziellen Ansinnen, das ganz auf die Zugkraft des legendären Morricone und die Erinnerungskraft der großen Filmthemen vertraut. Angepriesen wurde das Projekt mit über 100 Musikern sowie Solisten und einer technisch aufwändigen Leinwandprojektion. Ganz so viele standen letztlich nicht auf der Bühne, und die Leinwandprojektion beschränkte sich allein auf lose mit den jeweiligen Musikstücken verbundene Filmausschnitte. Somit ging zumindest in Kiel das Kalkül der Veranstalter nur bedingt auf: Viele der teuren Plätze in der mit Vorhängen abgehängten Sparkassen-Arena blieben leer. Offenbar reicht der Name des großen Komponisten  dann doch nicht aus, um den Saal in der Landeshauptstadt zu füllen.

Und leider stand auch die Akustik in der Mehrzweckhalle (der THW Kiel bestreitet hier seine Heimspiele in der Handball-Bundesliga) einem edlen Konzertabend entgegen. Widrige Bedingungen also. Und tatsächlich offenbarten gleich die ersten Einsätze des gemischten Chores ein großes Problem: Der Gesang wurde elektrisch verstärkt, was in den hohen Stimmlagen zu einem undifferenzierten „übersteuerten“ Klangbrei führte. Enttäuschenderweise geriet so ausgerechnet eine der schönsten Morricone-Musiken, The Mission, zu einem Schatten ihrer selbst. Das sensible Spannungsfeld zwischen Oboe, Chor und Orchester und die packenden Melodiebögen gingen völlig unter. Ansonsten spielte sich das Orchester aber tapfer durch die großen Filmthemen des italienischen Altmeisters von Spiel mir das Lied vom Tod, Zwei glorreiche Halunken bis hin zu La Califfa und Cinema Paradiso – ein durchaus stimmiges, aber vor allem auf Eingängigkeit und maximale Breitenwirkung ausgelegtes Programm. Dazu gehörte dann auch, dass zwei Stücke aus dem 70er Jahre Western Two Mules for Sister Sara unter dem besser vermarktbaren Etikett von Tarantinos Django Unchained liefen. Bemerkenswert, dass aus Morricones Oscar-prämiertem The Hateful Eight mit „La Lettera di Lincoln“ ausgerechnet das konventionellste Stück der spröden Vertonung ausgewählt wurde. Und so überraschte es auch nicht wirklich, dass der experimentelle, avantgardistische Morricone – zum Beispiel aus der Zeit der berüchtigten Giallo-Filme der 70er Jahre – im Programm keinen Platz fand.

Ein wenig schade ist das natürlich schon, weil das Schillernde, Grell-Groteske unverzichtbar zum Schaffen des Altmeisters gehört. Aber irgendwie verständlich für einen Konzertabend, der sein Publikum neben dem großen Namen Morricone nicht zuletzt auch mit einem gewissen „Nostalgie-Faktor“ locken wollte. Und zumindest diese Rechnung ging für die anwesenden Zuschauer dann doch auf. Besonders deutlich wurde dies spätestens mit den Zugaben, dem komplett in rot getauchten Saal zu Für ein paar Dollar mehr und der ohrwurmverdächtigen Hymne „Here’s to you“ aus Sacco & Vanzetti (im Original von John Baez gesungen) in einem hinreißend elegischen Chorarrangement. Dafür gab es zu Recht viel Applaus. Und schließlich überwog am Ende bei allen technischen Unzulänglichkeiten dann doch der Unterhaltungswert der schön ineinander fließenden Melodien. Zugleich lässt sich aber konstatieren, dass gute Filmmusiken genauso selten sind wie richtig gute Filmmusik-Konzerte.


Weiterlesen:

Konzertkritik der Kieler Nachrichten

Konzertkritik der Neuen Osnabrücker Zeitung

Ein Kommentar

Schreibe einen Kommentar zu Knut Kumpe Antworten abbrechen

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.