Tag 5: Frauenportraits

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Der Lebensalltag junger Frauen in der Großstadt ist Thema gleich mehrerer Beiträge des aktuellen Filmfestjahrgangs. Dazu gehören Produktionen wie Staub auf unseren Herzen, das kanadische Drama Maelström oder nun Am Himmel der Tag bzw. Night #1. Alle diese Filme unterscheiden sich in Perspektive und Inszenierungsstil. Während die Darsteller in Staub auf unseren Herzen etwa viel Raum für Improvisation besaßen, mussten die Akteure in Night #1 streng nach dem vorgegebenen Drehbuch agieren.

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Am Himmel der Tag (Deutschland 2012)

In Pola Becks Regiedebüt stehen zwei junge Architekturstudentinnen im Mittelpunkt, die sich weniger im Hörsaal als auf Partys herumtreiben. Als eine von beiden, Lara (gespielt von Aylin Tezel), nach einem One-Night-Stand ungewollt schwanger wird, entfremden sich die beiden Freundinnen immer mehr. Die Situation spitzt sich dramatisch zu, als Clara eine Fehlgeburt erleidet.

Vor allem in der zweiten Hälfte des Filmes wandelt sich der leichte Grundton des Filmes zu einem beklemmenden, berührenden Drama, das vom großartigen Spiel von Aylin Tezel getragen wird. Pola Beck und der Drehbuchautor Burkhardt Wunderlich haben im Vorfeld zahlreiche Recherchen zum Thema „stille Geburt“ durchgeführt und gleichermaßen mit Betroffenen wie Ärzten gesprochen. Der zurückhaltende, aber präzise Blick auf das in den Medien eher selten behandelte Thema zeichnet Am Himmel der Tag aus.

Leider besitzt das Drehbuch kleinere Unebenheiten in der Entwicklung der Geschichte: So erscheint es etwa unglaubwürdig, dass niemand im Familien- und Freundeskreis erkennt, dass mit Lara etwas nicht stimmt, obwohl sich das Leid in ihrem Gesicht überdeutlich ablesen lässt. Trotz dieser kleinen Einwände ist Pola Beck ein bemerkenswertes Erstlingswerk geglückt, das zu den besonders sehenswerten Beiträgen des jungen deutschen Kinos in diesem Jahr gehört.

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I am Nasrine (Iran/GB 2012)

Stellvertretend für viele andere Einzelschicksale erzählt die iranische Regisseurin Tina Gharavi von der jungen, unangepassten Iranerin Nasrine, die zu Beginn des Jahrtausends ihr Heimatland verlassen muss, um Repressalien zu entgehen. Sie emigriert zusammen mit ihrem Bruder nach England, wo sie sich der Gemeinschaft der sogenannten „Travellers“, eine Art fahrendes Volk, anschließt. Doch nach 9/11 wird das Leben für Muslime in Großbritannien immer schwerer, fremdenfeindliche Übergriffe gehören der Tagesordnung an. Und so gerät ihr Bruder eines Tages in eine für ihn verhängnisvolle Situation.

Unter zum Teil schwierigen Bedingung im Iran gedreht, gelingt I am Nasrine ein so einfaches, wie zugleich glaubwürdiges Porträt einer jungen Frau, die aus politischen Gründen ihr Heimatland verlassen muss, um in Großbritannien ein neues Leben zu beginnen. Einer der Vorzüge des Filmes ist es dabei, nicht die üblichen Klischees des Culture Clash zu bemühen. Nasrine gelingt es etwa überraschend schnell, Anschluss im fremden Land zu finden. Ihre eigentlichen Probleme liegen woanders. Dieser frische, unprätentiöse Blick auf den schon häufiger in Filmen erzählten Grundplot lässt auch manche etwas konstruierte Zuspitzung dramatischer Ereignisse verzeihen.

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Night #1 (Kanada 2011)

Ein faszinierendes Drehbuch hat die Regisseurin Anne Émond in ihrem Erstlingswerk Night #1 in Szene gesetzt: Sie erzählt von einem jungen Mann und einer jungen Frau, die in seiner Wohnung einen One-Night-Stand haben. Als sie mitten in der Nacht die Wohnung verlassen will, hält er sie auf. Ein ungewöhnliches Gespräch entwickelt sich zwischen den beiden.

Man könnte Night #1 wegen seiner expliziten Szenen zu Beginn für pornografisch halten oder gar von einem Skandalfilm sprechen. Doch ein solches Urteil wäre verfehlt, denn die Konstruktion erweist sich als geschickt: In den ersten Szenen lernt der Zuschauer die Filmfiguren genauso kennen, wie diese sich erfahren – nämlich allein oberflächlich – rein physisch. Erst in den Gesprächen und Monologen, die folgen, erfährt der Zuschauer mehr von den Charakteren.

Im Grunde porträtiert Night #1 die Geständnisse zweier in ihrem Leben zielloser, nahezu nihilistischer Menschen. Anne Émond überlässt in dem streng durchkonstruierten Kammerspiel keine Geste, kein Wort dem Zufall. Dadurch wirkt Night #1 gleichermaßen ungewöhnlich wie artifiziell. Auch wenn manchem Kinogänger der Film zu künstlich erscheinen mag: Das gesprochene Wort war Anne Émond besonders wichtig. Und tatsächlich: In wie vielen Filmen dieser Tage findet man schon derart ausgefeilte Monologe?