Superstars aus Japan, Eltern und Abgründe

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Parents (Dänemark 2016)

Zurückgeblieben ist einfach nur eine große Leere. Das ergraute Elternpaar fühlt sich zur Untätigkeit verdammt. Der Sohn ist gerade ausgezogen und das Haus inzwischen viel zu groß für zwei Personen. Als die Mutter, allein um sich zu beschäftigen, das gerade aufgehäufte Laub im Garten ein weiteres Mal verschüttet, steht fest: So kann es nicht mehr weitergehen. Eine kleinere Wohnung muss her. Durch Zufall findet der Vater genau jenes Apartment wieder, in dem das Paar in seiner Studienzeit lebte. Aus der einstigen Bruchbude ist inzwischen eine schick renovierte Wohnung geworden. Und so ziehen beide kurzerhand ein. Als er beginnt, die Einrichtung nach alten Fotos genauso wieder herzurichten, wie sie früher aussah, erleben die ergrauten Eltern einen wahren Jungbrunnen. Plötzlich ist alles noch einmal so wie einst.

Christian Tafdrup spielt in seinem Film die gleichermaßen reizvolle wie beklemmende und schockierende Idee durch, was passiert, wenn ein Paar zurück in der Zeit reist, um die eigene Jugend wieder zu erleben. Er tut dies mit bemerkenswerter Konsequenz. Schrittweise bekommt der verklärte Blick in die Vergangenheit zunehmend Risse. Der Film verdeutlicht dies mit albtraumhaften Einstellungen, in denen sich die Wohnung in das Dreckloch zurückverwandelt, das es früher einmal war. Die Tapeten fallen von den Wänden, durch die löchrige Decke tropft es und alles verschwimmt in einer einzigen Mischung aus Dreck, Wasser und Müll.

Wie viele andere Vertreter des dänischen Kinos vor ihm zeigt Parents zunächst eine adrette, wohlsituierte Familie, um diesen Schein dann im Verlauf mit ungeahnten Abgründen zu demontieren. Leider funktioniert das eigentümliche Handlungskonstrukt hier aber nicht durchgehend. Eine präzise Psychologisierung geht Tafdrups Film ab. Das an sich spannende „Was wäre, wenn“ ist dafür viel zu gemächlich inszeniert und auch zu schnell wieder vorüber, um wirklich in die Tiefe zu gehen. So entlässt Parents seine Zuschauer mit der einfachen wie banalen Erkenntnis, dass es wahrscheinlich gut so ist, dass wir die Uhren nicht zurückdrehen können.

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We are X (USA 2016)

Kann es das geben? Eine Band der Größenordnung Rolling Stones oder AC/DC, von der in Deutschland kaum einer etwas gehört, geschweige denn Notiz genommen hat? X Japan ist eine solche Formation, die in ihrer Heimat Japan mit über 30 Millionen verkaufter Platten längst in die Musikgeschichte eingegangen ist. Die Band hat für sich den sogenannten Visual-Kei-Stil erfunden: eine Art opernhafter Hard-Rock mit klassischen Elementen (die sich beim Prog-Rock der 70er bedienen) und vor allem irrwitzigen Tempi. Die Outfits der Bandmitglieder sind schrill. Bei ihren Konzerten, die ganze Stadien füllen, verausgaben sich die Musiker bis zur völligen physischen Erschöpfung. Gegründet wurde X Japan in den frühen 80er-Jahren von dem charismatischen Yoshiki  (damals noch unter dem Namen X) und erreichte in Japan schnell einen geradezu mythisch verklärten Kultstatus.

Der Dokumentarfilm We are X von Stephen Kijak stellt die Band und den um sie entstandenen Kult nun einem westlichen Publikum vor, welches außerhalb von Anime-Kreisen dem Phänomen X Japan hier wohl zum ersten Mal begegnen dürfte. Erzählt werden die kleinen und großen Geschichten aus der Mythologie der schillernden Formation, stets im Wechsel mit Ausschnitten aus den gigantischen Konzert-Shows. Als Zuschauer erliegt man schnell dem Bann des charismatischen Bandleaders Yoshiki, der mit Tränen im Gesicht den Selbstmord zweier Bandmitglieder reflektiert. Vor allem, weil X Japan in Deutschland nahezu unbekannt ist, wirkt Kijaks Dokumentation so furios. Doch Vorsicht scheint zugleich geboten: Zu keinem Zeitpunkt durchdringt der Film die Fassade der offiziell belegten Bandgeschichte. Was von dem Erzählten ist wirklich wahr und was nur Teil einer geschickt konstruierten Selbstinszenierung? Nur einmal spricht Yoshiki kurz davon, dass X Japan auch ein „big business“ sei. Jegliche kritische Stimmen bleiben aus. Am Ende erliegt We are X der eigenen Faszination am Objekt. Aber vielleicht lässt sich nur so das Phänomen überhaupt annähernd erklären.