Adore, Christopher Gordon: „Unnahbarkeit am Strand“

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Der Strand ist für Menschen seit jeher ein besonderer Sehnsuchtsort. Die Magie vergänglicher Sommertage, an denen die Zeit stillzustehen scheint und am Ende doch wie Sand zwischen den Fingern verrinnt, wurde bereits in unzähligen Filmen besungen, ob in Klassikern wie Rohmers Pauline am Strand (1983) oder zuletzt Ava (2017, Regie: Léa Mysius), um nur zwei von vielen Beispielen zu nennen. Auch in Anne Fontaine Liebesdrama Tage am Strand um Verlangen und Grenzüberschreitungen werden Strand und Meer zu einem von der Welt abgegrenzten Ort, an dem es leichtfällt das echte Leben und gesellschaftliche Spielregeln zu vergessen. Frei nach der Kurzgeschichte „Großmütter“ von Doris Lessing erzählt der Film die Geschichte der seit Kindestagen eng miteinander befreundeten Mütter Roz und Lil (gespielt von Robin Wright und Naomi Watts). Sie lassen sich auf eine Affäre mit dem Sohn der jeweils anderen ein. „Sie sind wie junge Götter“ entfährt es Roz einmal, als beide Frauen am Strand liegend ihre Kinder beim Surfen beobachten. Und tatsächlich erleben sie ein unverhofftes Liebesglück, wie sie es nach der Trennung bzw. dem Tod des Partners nicht mehr für möglich gehalten hätten. Doch dieses Glück hat einen Beigeschmack, denn das schlechte Gewissen, sich moralisch fragwürdig zu verhalten, können beide nicht so leicht abschütteln. Schließlich beschließen Roz und Lil, ihre jeweiligen Beziehungen abrupt zu beenden. Doch was anfangs wie die richtige Entscheidung aussieht, geht gründlich schief. Zwar heiraten die Söhne jüngere Frauen und gründen eigene Familien. Doch tun sie dies mehr aus enttäuschter Liebe und gesellschaftlichen Zwängen denn aus freiem Willen. Und so kommt es, wie es kommen muss: Als nach vielen Jahren alle mit Kind und Kegel wieder am Strand aufeinandertreffen, flammen die einstigen Affären erneut auf.

Das von Anne Fontaine zusammen mit Christopher Hampton verfasste Drehbuch legt Handlung und Figurenkonstellationen mit einer bemerkenswerten Symmetrie an: Der Verlust des Partners, die Affären, das Großmutter-Werden: Alles spiegelt sich an der Achse der Freundschaft zwischen Roz und Lil. Doch was in einer Kurzgeschichte als abstrakte Gedankenspielerei und ohne moralische Zuschreibungen noch funktionieren mag, wirkt in der Adaption wie eine zu künstlich arrangierte Versuchsanordnung. Im Original heißt der Film „Adore“, was auf Deutsch so viel wie „Begehren“ bedeutet. Doch die Inszenierung schafft es nicht, die titelgebende Verführungskraft der verbotenen Affären adäquat in eine filmische Sprache zu überführen. Die Liebe zwischen den Generationen bleibt hier eine bloße Behauptung des Drehbuchs, die zu keinem Zeitpunkt zum Leben erwacht. Das hat viele Gründe, wie zum Beispiel die einfallslos gefilmten Liebesszenen. Aber auch die sonnendurchfluteten Strandbilder offenbaren ein Problem: Sie sind zwar schön fotografiert, zeigen echtes Strandleben aber nur an der Oberfläche: Fast schon kurios mutet es an, dass in Tage am Strand trotz einer viele Jahre überspannenden Handlung immerzu Sommer ist. Und doch zeigt die Kamera keinen Sand auf der Haut, keine sonnengegerbten Körper und selbst die reinigenden Gewitter am Abend fehlen. Sieht man von gefälligen Bildern einmal ab, spielt der Schauplatz als begünstigender Katalysator der Handlung im Grunde keine echte Rolle.

Das Abstrakte, Ungefähre merkt man auch der Filmmusik von Christopher Gordon an. Der Australier, eigentlich ein Könner im Umgang mit dem Orchester, begibt sich hier zusammen mit seinem Co-Komponisten Antony Partos in die Gefilde der Dramen-Musiken von Thomas Newman. Durch kollagenartige Klänge, luftig-verspielte Klaviernummern und sanfte Streicherharmonien vermittelt sich ein musikalischer Schwebezustand, der weniger narrativ als atmosphärisch angelegt ist. Und das hat durchaus seinen Reiz: Gordons statisches, vom Klavierläufen umspieltes Streicherthema im Titelstück „Adore“ wirkt wie eine leichte Sommerbrise, erzählt mit sanfter Ironie und durchaus passend von Sehnsucht, Möglichkeit und Vergänglichkeit. Doch anstatt dieses starke Hauptthema als Basis zu nehmen, um tiefer in die Psychologie der Figuren vorzudringen, zerfällt die Musik in zwei Teile. Während Gordon das Hauptthema immer wieder aufgreift, geht Partos völlig eigene Wege. Die von ihm komponierten Stücke lösen sich von der Handlung und kommen kaum über eine beliebig wirkende Newman-Kopie hinaus. Diese Unentschiedenheit in der musikalischen Konzeption, die durchaus auf Probleme in der Post-Produktion hindeutet, ist charakteristisch für die Unentschiedenheit des ganzen Films. Das zeigt sich nicht zuletzt beim Filmende: Eigentlich will sich Tage am Strand einer moralischen Wertung entziehen. Doch dass die Inszenierung den finalen Eklat derart knapp und ohne große Empathie für die betrogenen Ehefrauen und die Kinder abhandelt, ist schlichtweg ärgerlich. Anne Fontaines Film bleibt zu distanziert, um den Zuschauer zu involvieren oder in ein moralisches Dilemma zu stoßen. Die Kameraeinstellung aus der Vogelperspektive auf die sich auf einem Ponton im Wasser sonnenden Paare fasst das ganze Scheitern des Dramas in ein geradezu symbolträchtiges Bild: Da liegen Jung und Alt nebeneinander vereint, symmetrisch angeordnet und vollkommen von der äußeren Welt isoliert. Eigentlich ein gelungener Regie-Einfall. Doch so richtig nah kommen die Figuren sich und in letzter Konsequenz dem Zuschauer nicht.

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